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Türken drohen Schily mit Klage

Weiter Streit ums Einwanderungsgesetz: Innenminister Schily will das Nachzugalter für Einwandererkinder auf 12 senken. Türkische Gemeinde protestiert und droht mit Klage vor Europäischem Gerichtshof. Union weiß nicht, was sie will

von LUKAS WALLRAFF

18, 16, 12, 10 oder 6? Bis zu welchem Alter dürfen Einwandererkinder nach Deutschland nachgeholt werden? Eigentlich nur ein Detail im geplanten Einwanderungsgesetz. Aber die Reaktionen auf den Gesetzentwurf von Innenminister Otto Schily (SPD) deuten darauf hin, dass der Familiennachzug zu einem der größten Hindernisse bei den Verhandlungen über einen Konsens wird. Die Türkische Gemeinde drohte gestern sogar mit einer Klage gegen Schilys Pläne.

Der Entwurf des Innenministers sieht vor, das Höchstalter beim Familiennachzug von bisher 16 auf 12 Jahre zu senken. Auf den ersten Blick ist das eine salomonische Lösung. Denn SPD und Grüne hatten 18 gefordert, die CDU 10, die CSU 6. Die FDP wollte es bei 16 Jahren belassen.

Doch wirklich zufrieden ist niemand mit dem Kompromissvorschlag, der Streit geht weiter. Mehrere Unionspolitiker machten bereits deutlich, dass sie einem Gesetz nur zustimmen würden, wenn es eine „Begrenzung der Zuwanderung“ sicherstelle. CSU-Chef Edmund Stoiber begründete seine Ablehnung des Schily-Entwurfs auch damit, dass er „restriktivere Regelungen beim Familiennachzug“ vermisse. Im Klartext: Wenn zu viele Ausländerkinder kommen dürfen, macht die Union nicht mit. Was wie ein bizarrer Zahlenstreit wirkt, wird zum ideologischen Grabenkampf – und zum Glaubwürdigkeitstest für Rot-Grün.

Wenn SPD-Zuwanderungsexperte Ludwig Stiegler betont, das geplante Einwanderungsgesetz sei ein „Paradigmenwechsel, weg von einer auf Abwehr konzentrierten Politik“, kann er sich auf einen faktischen Nachzugs-Stopp nicht einlassen. Für die Grünen steht noch mehr auf dem Spiel – nach all den „Kröten“ (Cem Özdemir), die sie schon beim Asylrecht schlucken mussten. Ihr Rechtspolitiker Volker Beck ließ erkennen, dass die Grünen einen Konsens nicht um jeden Preis mitmachen: „Für unser Überleben ist es nicht notwendig, dass es zu einem schlechten Einwanderungsgesetz kommt“, sagte Beck der taz. Grünen-Chefin Claudia Roth hält eine Absenkung des Nachzugsalters für „sehr problematisch.“ Schilys Vorschlag stehe im Widerspruch zu einer geplanten EU-Richtlinie zum Familiennachzug mit einer Altersobergrenze von 18 Jahren. „Darüber werden wir noch reden“, kündigte Roth an.

Noch deutlicher äußerte sich gestern die Türkische Gemeinde in Deutschland. Die Dachorganisation von über 200 türkischen Verbänden lehnt Schilys Vorschlag ab, das Nachzugalter auf 12 zu senken. „Falls das durchkommt, werden wir bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen“, sagte Safter Cinar, stellvertretender Vorsitzender der Türkischen Gemeinde. Es sei zwar „wünschenswert, dass die Kinder spätestens vor Schulbeginn nach Deutschland geholt werden“, sagte Cinar. Mit einer gesetzlichen Absenkung des Nachzugalters greife der Staat aber verfassungswidrig in die Entscheidungskompetenz der Eltern ein.

Rechtlich unhaltbar sei auch der Vorschlag, bei Nichtteilnahme an Integrationskursen den Aufenthalt der Zuwanderer nicht zu verlängern. Cinar forderte, an Stelle von Sanktionen mehr Anreize zum früheren Nachzug und zum Erlernen der Sprache zu geben. Bessere Integrationsangebote wollen von Union bis Grüne alle Parteien. Die Frage ist nur: Wer soll sie bezahlen? Bund, Länder oder Gemeinden?

Neben dem Streit um den Familiennachzug bahnt sich deshalb bereits der Streit ums Geld an. Schily habe in seinem Gesetzentwurf „völlig ausgeblendet“, wer die Milliardenkosten für die Integration tragen solle, schimpft nicht nur Stoiber.

Genauso unklar wie die Kostenfrage bleibt auch die Haltung der Union zu Schilys Gesetzentwurf. Während Horst Seehofer (CSU) gestern vor der „Konsensfalle“ warnte, sagte CDU-Vize Jürgen Rüttgers: „Auf der Basis von Schilys Vorschlägen kann und muss man zu einer Einigung kommen.“ Von der urlaubenden CDU-Chefin Angela Merkel war dazu noch nichts zu hören.

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