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Aus dem Leben auf die Bühne

Die Schauspieler sollten mit echten Waffen in der Hand auftreten, damit die Szenen bedrohlicher würden. Doch das gab Probleme mit Zoll und Polizei

aus Lagos HAKEEM JIMO

„Seit 14 Tagen bekommen wir jeden Tag das Gleiche zu essen: entweder Yamwurzeln oder Kartoffeln mit Paprikasauce und am Morgen gibt es dazu noch Haferbrei.“ Die Schauspieler und Bühnentechniker aus der Schweiz und aus England leiden unter dem nigerianischen Nationalgericht. Die einheimischen Darsteller kennen den Speiseplan – sie leben damit. Fünf Wochen lang hat das multinationale Ensemble gemeinsam geprobt, um Wole Soyinkas neues Stück „King Baabu“ auf die Bühne zu bringen. Am Montag war in Lagos Premiere.

Das Wagnis hat sich gelohnt. Alle sind sich einig: Eine große Theaterproduktion in Nigeria, die später auf Welttournee gehen wird – noch dazu unter persönlicher Leitung Soyinkas. Das ist ein historisches Ereignis für ein Land, das Jahrzehntelang unter Diktatur und Wirtschaftskrise gelitten hat.

Doch die Premiere am Montag abend im Nationaltheater von Lagos fiel – gemessen am Anlass – eher bescheiden aus. Ein Drittel der Ränge blieb leer, rund 400 Zuschauer nahmen auf den maroden Sitzreihen im großen Saal Platz. Man hatte ein volles Haus erwartet, zumal sich einige Prominente angekündigt hatten. Der Gouverneur von Lagos zum Beispiel, Bola Tinubu. Er schickte eine Hundertschaft Polizisten, kam aber selber nicht. Die Aufführung ging ohne Stromausfall vonstatten, was selten vorkommt in Lagos. Das Publikum schwitzte trotzdem in der tropischen Hitze. Die Klimaanlage des Hauses, alt, laut und ohne erkennbare Wirkung, blieb ausgeschaltet.

Tyrannen auf der Bühne

Dass die Prominenz nicht erschien, ist dem Thema das Stückes geschuldet. Soyinka bringt in „King Baabu“ Figuren auf die Bühne, die ihr Volk tyrannisieren. Sein vorangegangenes Stück, „The Beatification of Area Boy“, klagt das skrupellose Verhalten von Diktatoren an und vergleicht es mit dem brutalen Gesetz in den Straßen der Slums. Soyinka hat dabei immer das Regime von Nigerias letztem Militärdiktator Sani Abacha vor Augen. In „King Baabu“ üben die Künstler, allen voran die Schauspieler, Rache, indem sie die Diktatoren in Nigeria und anderen Teilen der Welt bloßstellen.

Was das für Leute sind, lässt sich im Fernsehen verfolgen. Während die Proben laufen, werden live die Anhörungen der nigerianischen Wahrheitskommission übertragen, die die Verbrechen der Militärdiktaturen untersucht. „Das ist schon verrückt“, sagt Yomi Michaels, ein Nigerianer, der in London aufwuchs und lebt. Er spielt die Hauptrolle: den General Basha Bash und späteren King Baabu. „Wir sehen die Typen, wie sie vor der Wahrheitskommission von ihren damaligen Taten sprechen. Die Figuren, die wir spielen, treten jeden Tag im Fernsehen auf.“ Das Vorbild für Yomi Michaels Figur, der General Sani Abacha, tritt allerdings nicht mehr in den Zeugenstand der Kommission. Er starb 1998, sein Tod machte den Weg zur Demokratisierung Nigerias frei.

Damit sich eine Diktatur am Leben hält, brauchen ihre Schergen folgende Charakterzüge: niedere Instinkte, Skrupellosigkeit, Selbstbetrug. Paul Okuntimo, der einst als Schlächter gegen die Ogoni-Minderheit in Nigerias Ölfeldern wütete, beschreibt heute bei seinen Auftritten vor der Wahrheitskommission sein Werk immer noch so, als ob er nur das Beste für die Ogonis im Sinn gehabt hätte. Mit solchen Charakteren hat Soyinka auch sein Stück aufgebaut. Der Regieassistent Bernard Müller sagt es so: „Die Schauspieler bringen Karikaturen auf die Bühne.“

Die Figuren bewegen sich wie Marionetten, fast roboterartig. Die meisten haben Waffen in der Hand und Patronengürtel um den Leib geschnürt. Soyinka wollte, dass sie mit echten Maschinengewehren und Pistolen hantieren, damit das Publikum sich wirklich bedroht fühlt. Aber dann, sagt Bernard Müller, habe die Truppe Probleme mit dem Zoll und den Sicherheitskräften bekommen.

Auch ohne echte Waffen war es nicht einfach, alles für die Produktion Nötige aufzutreiben. „Wir haben nur ein paar Spezialwerkzeuge und Requisiten aus der Schweiz mitgebracht – alles andere mussten wir hier auf diesen Riesenmärkten besorgen“, sagt Dirk Dietz. In der Schweiz hätte er die Position einestechnischen Leiters. Hier in Nigeria ist er Mädchen für alles. Mit ortskundigen Helfern zog er über die Holz- und Eisenwarenmärkte von Lagos und versuchte zu erklären, was er für die Requisite brauchte. „Die Leute sind einfallsreich, nett und bemühen sich“, sagt er. Schwerter wurden aus Holz gesägt und silberfarben angemalt, Stoffe auf dem Kleidermarkt gesucht. Ein Schirm, wie er traditionsgemäß zu den Zeremonien der Herrscher gehört, musste eigens in Auftrag gegeben werden.

Am Ende wäre der nigerianische Schweißer richtig stolz auf sich gewesen, wenn er das fertige Bühnenbild hätte sehen können, das in rostig-schmutzigen Farbtönen Endzeitstimmung erzeugt. Aber das war noch das Geringste. Überall im Nationaltheater von Lagos und in den weiteren Aufführungsstätten in Ibadan und Benin City musste Hand angelegt werden. „Die Spielhäuser sind teilweise riesengroß – aber Material und Technik sind unbrauchbar oder wurden geklaut“, sagt Anita Vetterli, die für das Licht verantwortlich ist. „Alles ist so unberechenbar, das treibt die Kosten nach oben“, ergänzt Niggi Popp, der Schweizer Chef der Nawao-Productions, die „König Baabu“ mit produziert und im September nach Europa bringen will. „Und ob man es glauben will oder nicht: Nigeria ist teurer als Europa, weil man hier für alles bezahlt und nichts geschenkt bekommt. Wir suchen weiter nach Sponsoren und hoffen, dass das Stück, wie das letzte, auch für eine Welttournee gebucht wird und dort die Defizite wieder einfährt. Aber ich bereue nichts. Mit diesem Gemeinschaftsprojekt zeigen wir, dass es möglich ist, größere Kulturprojekte in Afrika zu produzieren.“

Nur fünf Wochen hatte die Theatertruppe Zeit, das Stück bühnenreif einzuproben. Bei einer solch umfangreichen Produktion ist die doppelte Zeit üblich. Deshalb schlug Wole Soyinka vor, sich aus Laos aufs Land, in ein Probencamp zurückzuziehen. Als Standort wurde die Kleinstadt Badagry westlich von Lagos gewählt. Dort kam das Ensemble in einem Weiterbildungszentrum für Verwaltungsbeamte unter.

Eine Kneipe namens Quing

Abgelegen im Grünen, nur umgeben von Maisfeldern, Wald und einer Lagune, versucht Badagry, sich als Touristenziel zu vermarkten. Eine Kulturwoche wurde bereits veranstaltet, ein Sklavereimuseum ist eingerichtet. Sonst gibt es wenig. Und deshalb hat die Soyinka-Truppe eine eigene Bar aufgemacht: den Quing-Club, Mischung aus Queen und King. Dirk Dietz hat kurz zuvor noch in Zürich eine Bar aufgemacht und kennt das Geschäft. Der Ort war schnell gefunden: Seine Werkstatt mit Blick auf die Lagune. Musik und nigerianisches Star-Bier zu organisieren war ein Leichtes. Und wenn der Strom wieder einmal ausfiel, wurde es besonders gemütlich.

Am nigerianischen Alltag kommt man allerdings auch in einem geschlossenen Camp nicht vorbei. So verspach das britische Kulturinstitut „British Council“ der Truppe einen Bus. Aber noch bevor sie ihn benutzen konnte, wurde er entführt und nie wieder gesehen. Einen zweiten Bus wollten die Briten dann nicht mehr herausgeben. Auch das vom Gouverneur versprochene Schnellboot für Kurzbesuche in Lagos wurde nie geschickt. Nötig wäre es gewesen, um den kilometerlangen Staus zu entkommen.

Am meisten schockierte ein Unfall. Der Fahrer eines Kleinbusses machte kehrt, weil einer der Passagiere nicht das komplette Fahrgeld dabei hatte - 15 Pfennige fehlten. Dabei krachte der Bus mit einem Sattelschlepper zusammen. Die meisten der 19 Fahrgäste waren sofort tot. Eine Frau starb auf dem Rücksitz des zweiten Regieassistenten Adeniji Akanni. Und die, die es noch lebendig bis zum Krankenhaus schafften, starben dort, weil die nigerianischen Krankenschwestern und -pfleger seit Wochen streiken und selbst Unfallopfer nicht versorgt werden. Dem Fahrer des Sattelschleppers erging es nicht besser. Er fiel an Ort und Stelle einem Lynchmord zum Opfer.

Nur in einem solchen gesellschaftlichen Klima verstehe man die Tragweite des Stückes, sagt Yomi Michaels, der Hauptdarsteller. Wäre das Stück, wie ursprünglich geplant, in der Schweiz geprobt worden oder wie „Beatification of Area Boy“ im englischen Leeds, bliebe es viel zu abstrakt.

Auch nach der Uraufführung geht die Arbeit an „König Baabu“ weiter. Bei der Premiere sitzt Soyinka ganz allein, am äußersten Rand der Publikumsränge. Keiner spricht ihn an; keiner will ihn stören. Nach der Aufführung, nach zweieinhalb Stunden in der Hitze und der stickigen Luft des National Theatre, beruft er sofort eine Besprechung vor der Bühne ein. Die Feier im Nebensaal muss warten.

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