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: Popstarmäßige Inszenierungsvariationen: Ellen Aliens Mix-CD „Flieg Mit“

Die Persönlichkeitsstruktur des DJs

Mix-CDs sind eine ziemlich zwiespältige Angelegenheit. Es gibt jede Menge von ihnen, nur richtig gute sind so rar wie DJs, die bevorzugt Abba mit Jeff Mills mixen. Mix-CDs können ganz unterschiedliche Funktionen haben. Manche sind dazu da, lediglich das Programm eines bestimmten Labels attraktiver zu präsentieren, das sind die pragmatischen. Dann gibt es Mix- CDs von den einschlägigen DJ-Ikonen, sie sollen deren Ruf untermauern. Dazu gehören schon an die 40 Tracks in einer Stunde heruntergebrettert, Hauptsache perfekt gemixt natürlich. Weniger auf den DJ als auf die Atmosphäre konzentrieren sich dagegen Mix-CDs, die die Dramaturgie einer Club- oder Partynacht simulieren wollen und vor allem Wert auf einen Spanungsbogen legen, wobei dies beim Hören auf der Wohnzimmercouch überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Und es gibt Kruder und Dorfmeister mit ihren „DJ-Kicks“ als Sonderkategorie. Mix-CDs allerdings, die die Persönlichkeitsstruktur des DJs nachbilden und bei denen jeder einzelne Track, jeder musikalische Stilbruch und das Setzen von Pointen eine kleine Anekdote zu erzählen scheinen, sind selten.

„Flieg Mit“ von Ellen Allien ist somit eine wahre Ausnahmeerscheinung. Man muss dazu wissen, dass Ellen Allien früher bevorzugt Brettertechno aufgelegt hat und ein richtiges Technogör war. Popmusik war für sie Musik für Schluffis und sie wollte nicht mal in deren unmittelbare Nähe kommen. Doch genau so wie Techno inzwischen sein Selbstverständnis als Bunkersound abgelegt hat und wieder in Richtung Pop mutiert, ist auch Ellen Alliens Geschmack und musikalisches Selbstverständnis in Dauerrotation. Sie führt mit Bpitch Control ein inzwischen ziemlich einflussreiches Label für Techno und mehr und darf mit Acts wie Paul Kalkbrenner und Tok Tok das derzeit vielleicht spannendste Berliner Label überhaupt ihr eigen nennen.

Ihr eigener erster Longplayer „Stadtkind“ ist vor kurzem erst erschienen, sie singt darauf inzwischen über solch rührselige Dinge wie den „Funkenflug der Träume“ und sie hat damit begonnen, sich in popstarmäßigen Inszenierungsvariationen zu üben. Auf dem Cover von „Flieg Mit“ etwa erscheint sie als eine Art Friedrichshain-Julia-Roberts mit windverwehten offenen Haare und kanariengelbem Top. Ellen Allien geht es gut, sie hat etwas erreicht und sie will noch mehr. Vor allem aber will sie mehr als tausendmal gehörten DJ-Tool-Techno auflegen. Dann doch lieber tausendmal gehörte Popmusik.

Und so geht es auf ihrer Mix-CD gleich los mit „Sonnendeck“ von Meinrad Jungblut und „Als es passierte“ von Paula. Letzteres allerdings im Andreas-Dorau-Remix, der dem Charme des Stücks noch eine zusätzliche Dancefloor-Federung verleiht.

Auffallend und sehr wohltuend ist es, dass Ellen Allien weder einen Track von sich selbst noch von Bpitch Control in ihr Set verwebt. So gewinnt sie den größtmöglichen Abstand zur Mix-CD als Promotion-Vehikel, was die eigene Souveränität unterstreicht. Nach Paula geht es weiter mit elektronischem Pop. Die Quarks kommen im Turner-Remix daher, T. Raumschmiere servieren ihren Techno-Pop-Hit „H-Babe“ und den Höhepunkt bildet das wunderbar grazile „State Of Grace“ von Swayzak samt Elfengesang.

Nichts wirkt verkrampft geschmäcklerisch, mit DJ-Mätzchen wie rare und nie gehörte White-Labels auskramen hat Ellen Allien nichts im Sinn und Übergänge dürfen durchaus hörbar sein. Man merkt förmlich, dass sie ihre eigenen Lieblingstracks mit uns teilen möchte und dass sie weiß, wie sehr wir einen ähnlichen Geschmack haben. Sie steigt herab von ihrer DJ-Kanzel und legt nochmals die Hits auf, die wir selbst im Plattenschrank stehen haben. Ein distinktionssüchtiger DJ würde auf einen ziemlich durchgereichten Clubhit wie „Blaue Löwen“ von Decomposed Subsonic verzichten, Ellen Allien steht da einfach drüber. Gegen Ende verschenkt sie noch poppigen Techno von Acts wie Philippe Cam oder Christian Morgenstern und ein rundum gelungener Flug geht mit einer sicheren Landung zu Ende.

ANDREAS HARTMANN

Ellen Allien: „Flieg Mit“ (Bpitch Control/Zomba)