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Sozialistische Touristen

■ Die Fotogruppe des Bremer „Tourismusverein Naturfreunde“ feiert 80-jähriges Jubiläum. Eine Ausstellung im Bürgerhaus Vahr zeigt einen Querschnitt ihrer Arbeit

Man meint, es müsste feiner Holzstaub aus dem Rahmen rieseln. Glaubt, man könne den Flugrost mit dem Finger abreiben. So nah ging Heinz Schnaars ran an seine Motive, so klar zeigt jede Makro-Aufnahme die Details. „Klinken“ heißt seine Fotoreihe, in der er alte Türen, morsches Holz und abgeblätterten Lack in Szene setzt. Mit ihrer Ausstellung „80 Jahre Naturfreunde Fotografie“ öffnet die Bremer Fotogruppe des „Tourismusvereins Naturfreunde“ im Bürgerzentrum Vahr die Türen: Sie geben den Blick frei auf ihre Arbeit der vergangenen Jahre. „Wir möchten auf die Vielfalt der Themen aufmerksam machen, mit denen wir uns im Laufe der Zeit beschäftigt haben“, sagt Wilfried Henning von der Fotogruppe.

Und diese Vielfalt kann sich sehen lassen: An zahlreichen Wettbewerben haben die FotofreundInnen teilgenommen, etliche Urkunden haben sie im Lauf der Jahre gewonnen. Entsprechend vielfältig ist ihre jetzige Ausstellung im Bürgerhaus Vahr: Neben zahlreichen Landschaftsaufnahmen und farbigen Collagen reihen sich Schwarz-Weiß-Portraits und experimentelle Fotografien: Der Fischkutter im Hafen wurde mit einem ausgedörrten Bachbett in Israel hinterlegt, Trockenheit und Nässe übereinander geschoben.

1895 brachte der Wiener Lehrer und Freidenker Georg Schmiedl zwei andere Gegensätze zusammen: Arbeit und Freizeit. Er gründete den „Tourismusverein Naturfreunde“. Walter Seitz, Vorsitzender der Bremer Ortsgruppe erklärt den Hintergrund: „Durch den Bau der Eisenbahn waren die Alpen von Wien aus plötzlich einfach erreichbar.“ Dennoch profitierten die Arbeiter der österreichischen Metropole kaum davon, konnten sie sich eine Übernachtung in den Bergen kaum leisten. Tourismus blieb für sie ein Fremdwort.

Um das zu ändern, richteten die Ortsgruppen in vielen Städten des neuen Vereins Häuser ein, gegenseitige Besuche folgten, Urlaube und Wanderfahrten wurden organisiert. Auch wenn damals von einem Zusammenschluss „vollkommen klassenbewusster Arbeiter“ die Rede war, „stand immer der Tourismus, nicht die sozialistische Ideologie im Vordergrund“, so Seitz. Schnell spannte sich ein großes Netz von Ortsgruppen quer durch Europa. In Bremen kam die erste Gruppe 1912 dazu.

„Ein Jahrzehnt später begann man, das gemeinschaftliche Leben fotografisch zu dokumentieren“, sagt Wilfried Henning. Bilder aus dieser Zeit sind jetzt auch im Bürgerhaus Vahr zu sehen. Da wandern die Naturfreunde im Gänsemarsch durchs Watt, wird eine ganze Gruppe auf der Ladefläche eines Lastwagens zum Ferienhaus am See chauffiert, Männer hangeln sich auf einem Drahtseil über den Fluss oder posieren mit zünftigen Hüten auf dem Kopf und der Gitarre unter dem Arm für den Fotografen.

Aber neben frischer Luft und guter Laune hatten die Naturfreunde auch andere Interessen. Sie machten Musik, kümmerten sich um Kultur und Bildung, trieben Sport oder sangen im Chor.

„Als das Fotografieren billiger wurde, gründeten sich auch die ersten Fotogruppen“, weiß Wilfried Henning, in Bremen war das 1921.

Heute noch sind in 18 Ländern eine halbe Million Naturfreunde aktiv. Ihr Präsident ist Bremens ehemaliger Gesundheitssenator Herbert Brückner.

Die Freundschaftshäuser werden noch immer betrieben, die Partnerschaften zu befreundeten Gruppen bestehen nach wie vor. Allerdings: Die Mitgliederstruktur hat sich geändert. Wurde der Verein ausschließlich für Arbeiter gegründet, ist heute das ganze gesellschaftliche Spektrum abgedeckt. Und so sind auch Nichtmitglieder in der Fotogruppe willkommen. „Das Wichtige ist“, findet Wilfried Henning, „dass man Spaß am Fotografieren hat.

Hannes Külz

Die Ausstellung der Naturfreunde im Bürgerhaus Vahr ist noch bis zum 31.August geöffnet.

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