: Ein Fußballer, sonst nichts
Morgen wollte Marcus Petsch noch einmal gegen den 1. FC Union Berlin grätschen, dort, wo er das Fußballspielen als Junge lernte, bevor er zum SV Babelsberg 03 ging. Doch jetzt ist Petsch verletzt
aus Potsdam MARKUS VÖLKER
Der Rasenmäher bollert übers Grün des Karl-Liebknecht-Stadions. In der sengenden Hitze verwelken die frisch geköpften Halme in Sekunden. Marcus Petsch flüchtet in den Schatten. Auf die Presseplätze. Er trägt bunte Shorts, ein gestreiftes Polohemd, weiße Socken und Sportschuhe. Unter seiner Baseballkappe sprießen Haare hervor. „Rückblicken tu ich überhaupt nicht“, sagt er trotzig. „Nur, wenn ich alleine bin.“
Heute ist er nicht allein. Und er soll reden, „mit einem von der Presse“. Kommt nicht so oft vor. Der Mann von der Geschäftsstelle der Babelsberger rief erstaunt ins Telefon: „Was? Vom Petsch wollen Sie die Nummer? Ist ja auch noch nicht passiert.“ Ach was, meint Petsch, „wer meine Nummer hat, der hat sie, und wer nicht, ist mir auch egal.“ Seine Hände hinterlassen auf dem Gummibezug („Damit die Laptops nich’ verrutschen“) nasse Abdrücke. Die Beine wippen. „Ich rede ja nur“, sagt er nach einer Pause, „weil ich schon Angst hatte, Sie steh’n bei mir zu Hause auf der Matte.“
Der Abwehrspieler des SV Babelsberg 03 wohnt in Marzahn, in einem Neubaublock. Aufgewachsen ist er in Adlershof. Und weil dort die „Babys schon einen weiß-roten Schal in die Wiege kriegen“, wurde er Unioner. „Ohne Union würde ich nicht Fußball spielen.“ Der 1. FC kommt morgen nach Babelsberg. Das Derby. „Ach was, Derby“, sagt Petsch, „früher hat das Spiel auch keine Sau interessiert.“ Wünscht er, es würde wie früher?
Die Antwort ist nicht eindeutig. Könnte sein. Oder auch nicht. Eine Verletzung hat er jedenfalls, nuschelt er. Die Achillessehne ist angerissen und nun hoppt er von Arzt zu Physiotherapeut und ist schon ganz „wuschig im Hirn“, weil der Körper sich gegen sein Zeitempfinden stemmt. „Bei mir muss es immer schnell gehen, vier Wochen sind ja schon ein halbes Leben.“ Er wird alt werden mit seiner Blessur, an die 100.
Wenn nicht der „1.000-prozentige Zuspruch“ des Trainers Herman Andreev wäre, er würde seine Schlappen an den Nagel hängen. „Das nervt doch alles“, sagt er, der 35-Jährige. Und danach, was kommt danach? „Keine Ahnung, wenn ich jetzt etwas sagen würde, das wär’n doch nur Träume.“ Gelernt hat er Elektromonteur, aber er kann gerade mal den Kippschalter umlegen. „Die Lehre war doch in der DDR nur Alibi für Sportler.“
Fußball spielen kann er viel besser. Bei Union hat er kicken gelernt. Ist auf die Sportschule gegangen. Erlebte mit den „Eisernen“ die „geilste Heimreise meines Lebens überhaupt“. Im Halbfinale des FDGB-Pokals hatten sie Dynamo Dresden auswärts geschlagen. 1985 war das. Am Anfang seiner Profikarriere. „Das Profi lassen se weg, ich bin Fußballer, sonst nichts“, korrigiert er. Am Ende dieser Spielzeit ist Schluss. Mehr weiß er nicht. „Muss ja weitergehen, bin ja nich auf’n Kopp gefallen.“
Es ist Schicksal, glaubt er, dass er ausgerechnet dann lädiert ist, wenn Babelsberg in die Zweite Bundesliga aufsteigt. Egal. Petsch muss nicht höher, schneller, weiter. Petsch arbeitet verbissen am Status quo. „Ich bin eben so“, sagt er. Er gehört zu denen, die der Mode widerstehen. Seine Frisur, zum Beispiel, ist Vokuhila, und sie wird es bleiben. Der Wuchs machte sich vor Urzeiten endemisch auf der Stirn von Balltretern breit, diesseits und jenseits der Mauer. Bürstenhaarschnitte kamen, Gelsträhnchen gingen, Petsch blieb dem Schnitt, sich und seinen Tugenden treu. Das heißt, er grätscht bisweilen nach Leibeslust. Deckt hartnäckig den Mann. Drischt den Ball lieber unter die Tribüne, als dass er Haken schlägt. „Ehrlich“ nennen die Fans sein Spiel. „Schnörkellos“ die Fußballreporter.
Seit 1995 spielt Petsch in Babelsberg. Vor zwei Jahren war er sogar Kapitän, „notgedrungen, weil einer ausgefallen ist“. Dem hageren Spieler, der 1 Meter 85 groß ist und nur 69 Kilo wiegt, gefällt das Filmdorf Babelsberg, weil es beschaulich ist, abseits liegt. Es ist ihm nicht recht, wenn er nun nach den ersten Erfolgen seines Vereins in Marzahn „von Wildfremden auf der Straße angequatscht“ wird, er, den doch eigentlich nur die „allerhärtesten Union-Fans“ kennen.
In Babelsberg wissen die meisten Anhänger, wer Petsch ist. Trotzdem passiert es, dass Zweifel an seiner Identität entstehen. Ein paar Zaungäste glauben ihn zu erkennen. „Ist das nicht der Marcus Petsch?“, sagt einer. „Hm, das ist doch unser bester Abwehrmann, oder?“ Dabei macht er es ihnen so leicht, sein Gang ist unverwechselbar. Er stolziert wie ein Pubertierender: Abrollen auf den Zehenspitzen; Wippen in der Hüfte; Schlenkern der Extremitäten – alles perfekt. Der ewige Jugendliche mit programmierter Verweigerungshaltung stakst da durchs Leben. Mit einem leisen, aber vernehmbaren Grollen gegen alles, was Veränderung verheißt.
Das kommt manchmal an. Karsten Heine, sein Extrainer, rühmt Petschs „Zuverlässigkeit“, den „absoluten Siegeswillen“. Detlef Kaminski, Präsident des Vereins, sagt: „Der Petsch ist ein Zerstörer auf der linken Abwehrseite.“ Hendryk Lau, ein früherer Mitspieler, verrät: „Der ist ein waschechter Berliner und dementsprechend deftig sind auch seine Sprüche. Als Manndecker ist mit ihm nicht zu spaßen. Umso lustiger ist es dafür, wenn er von seiner Ponderosa erzählt.“
Die Ponderosa ist Petschs Datsche im Grünen. „Ganz nett da“, sagt er. Und blickt schließlich doch zurück. Auf die Karriere, in deren Verlauf er mit guten Fußballern in einer Mannschaft stand. Bei Bergmann Borsig Berlin zusammen mit Stefan Beinlich (Hertha BSC), Matthias Breitkreutz (früher Hansa Rostock, derzeit 1. FC Saarbrücken) und Christian Beeck (Energie Cottbus), bei Stahl Brandenburg mit Michael Hartmann (Hertha). „Die sind überhaupt nicht abgehoben“, sagt er, „mit denen kannste dich an die Ecke stellen und einen Plausch halten.“ Es klingt, als ob er sich bei dieser Gelegenheit Autogramme seiner Kollegen geben lässt.
„Mensch, war’n wir immer ’ne Supertruppe“, erinnert er sich. „Ich wär ja nie gewechselt, musste immer notgedrungen.“ Notgedrungen. Es taucht noch ein paarmal auf. Nach dem siebten „Notgedrungen“ steht er auf, schlakst davon, froh, nicht mehr reden zu müssen. Kann nerven, so was. Notgedrungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen