: Männertorsi, dünn behost
Man will und kann nicht, oder man kann, will aber nicht so, wie man gerade kann: Tanja Ries lud in ihrer Reihe „Lauschen und Grillen“ Rigoletti M., Ralf Schuster, Robert Weber und Tanja Dückers zu einem Abend zum Thema Sex
Die „Trompete“ ist ja ein lauschiger Ort. Sanfte Beleuchtung, schwarze Ledersessel. Gute Bedingungen für einen Abend mit „Literatur und Blumen. Experten lesen zum Thema Sex“, zu dem Tanja Ries eingeladen hat. Als Rigoletti M. an das mit Plastikblumen verhangene Rednerpult tritt, ist bald klar: Wo Experten reden, da gibt es halbdunkle Behaglichkeit nicht lang. Expertentum nämlich schafft Distanz zum Objekt. Die bleibt nicht ohne Konsequenzen. Weil der Sex zu den diskursiviertesten Gegenständen der Öffentlichkeit gehört, sind wir alle Experten. Was das bedeutet, dem geht der Abend nach.
Rigoletti M., Ralf Schuster und Robert Weber, die als „Expertenteam“ die Autorin Tanja Dückers als Gast eingeladen haben, entwerfen ein Szenario, das als eine von der Glückserwartung gereinigte Berlin-Version von „Sex in the City“ erscheint. Man will und kann nicht, oder man kann, will aber nicht so, wie man gerade kann. Wie in Rigolettis erstem Text „Herrenunterwäsche“. „Ganz in Grau“ lebt sie, bis ihr ein Werbeblatt für Unterwäsche in die Hände fällt, Männertorsi, dünn behost. Die Hormone lösen den Eisprung aus, sie schaltet eine Anzeige: „Ich steh auf Herrenwäsche“. Die Selbstbeschreibungen der Antworten deuten auf das, was die AutorInnen immer wieder thematisieren: Dort, wo der Sex benannt wird, verfliegt sein Zauber und die Mechanik setzt ein. „Soll ich mir ein Kissen unter den Hintern legen?“, fragt der Liebhaber. Das bringt dann auch nichts mehr. Rigoletti M. geht es darum, wie der Sex in der medialen Überstrapazierung immer mehr pornografisiert wird. In dem Internetprojekt „Landessexklinik.de“, das die Filmregisseurin zusammen mit der Dramatikerin Felicia Zeller begonnen hat, wird in Bildsequenzen wie „Gesichter des Orgasmus“ oder „Ficksimulator Frau“ die Enterotisierung des Sexes bis ins Klinische geführt.
Ralf Schusters Erzähler spricht von der „Anerkennung geschlechtlicher Notwendigkeiten“, sieht sich selbst beim Sex mit einem „Flittchen“ zu und lässt seinen Erzähler irgendwo zwischen Sehnsucht und Ernüchterung sagen: „Damals war Liebe mehr als ein Wort.“ Und in Robert Webers Dialog „Vögeln oder ficken“ kommt das Paar dem Sex auch nicht näher.
Vielleicht erklärt sich so, dass die Figuren von Tanja Dückers die einzigen sind, die sich begegnen können. Sie nämlich sprechen weder miteinander noch zu sich selbst über ihren Sex. Sie schweigen. Oder sie sprechen, wie in einer Erzählung aus „Café Brazil“, über die Magisterarbeit, die magersüchtige Schwester, Urlaubspläne, alles ganz im Zaum. Hinter dem leeren Sprechen wächst das Begehren, und schließlich haben beide traumartig Sex nicht mit, sondern „am“ jeweils schlafenden anderen.
Dabei lässt die Allgegenwart der Rede über den Sex alle Autoren mit Melancholie zurück. Während Tanja Dückers aber die diskursiv unbesetzten Räume aufzuspüren sucht, greifen die Autoren des „Expertenteams“ bewusst zu öffentlichen Vokabeln. Schließlich kann Rigolettis Erzählerin nur noch fragen: „Wo ist mein zartes Wesen?“
KATRIN KRUSE
Tanja Ries lädt jeden Sonntag, 21 Uhr, zu „Lauschen und Grillen“ ein, Trompete, am Lützowplatz, Schöneberg
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