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Der Tod kommt mit 45

Menschen, die auf der Straße leben, sterben in Hamburg wegen mangelnder ärztlicher Versorgung 30 Jahre früher als andere  ■ Von Kaija Kutter

Wohnungslose sterben zu jung. Sie werden durchschnittlich in Hamburg nur 45 Jahre alt. Diese Zahl hat der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel, gestern vorgelegt. „Die Todesursachen sind oft leicht vermeidbar, beispielsweise durch ein einfaches Antibiotikum“, sagte Püschel. „Die Menschen sterben an Krankheiten, an denen sie und ich nicht sterben würden.“

Anlass war eine Untersuchung, die die Internistin Frauke Ishorst-Witte unter Püschels Anleitung an 388 Obdachlosen mit ungeklärter Todesursache machte, die in der Zeit von 1990 bis 1998 ins zentrale Leichenschauhaus kamen. Ihre Erkenntnis: wohnungslose Menschen sterben durchschnittlich 30 Jahre früher als der Normalbürger. Und: mehr als zwei Drittel der Toten hatten zu Lebzeiten eine chronische Erkrankung. Ishorst-Witte: „Aus den Polizeiermittlungen ging selten hervor, dass die Menschen einen Hausarzt oder Medikamente hatten.“ Oft sei die Krankheit nicht mal erkannt gewesen. So führe die chronische Erkrankung nicht immer direkt zum Tode, sei aber Ursache dafür, dass der bereits geschwächte Mensch schon an einer Bronchitis stirbt.

Atemwegserkrankungen nehmen mit knapp 30 Prozent einen großen Raum ein. Bei den rund 1200 Obdachlosen und 3500 Wohnungslosen, die es laut Behördenschätzung in Hamburg gibt, spielt Sucht eine große Rolle. Entsprechend hoch ist mit 58 Prozent die Zahl der chronische Lebererkranken. 13 Prozent hatten Suizid verübt, knapp 17 Prozent starben an Infektionen wie Blutvergiftung, Lungen- oder Herzentzündung.

Als Konsequenz fordert die Ärztin, die selber zweimal wöchentlich fürs Diakonische Werk eine Obdachlosensprechstunde abhält, einen dringenden Ausbau des Hilfssystems. Nach Kölner Vorbild müsste es 4,5 festangestellte Ärzte und 3 Pflegekräfte geben, die in Wohnunterkünften und auf der Straße die aufsuchende Hilfe verbessern.

Zwar sei es oberstes Ziel, die Menschen an niedergelassene Ärzte zu vermitteln. 40 Prozent der Toten waren jedoch nicht mal versichert. Und auch übers Sozialamt Versicherte haben keine Chipkarte und müssen jede Einzelbehandlung beantragen. Hinzu komme auch eine Abwehrhaltung bei Ärzten und Krankenhäusern. Ishorst-Witte: „Krankenhäuser müssen für Patienten attraktiv sein. Und attraktiv ist es nicht, mit einem Obdachlosen in einen Viererzimmer zu liegen.“

Sie wolle, so Ishorst-Witte, das bestehende Hilfssystem „nicht schlecht machen“. Neben ihrer Einrichtung gibt es auch im „Park In“ in Billstedt und in der „Kemenate“ in Eimsbüttel regelmäßige Sprechstunden, hinzu kommt der Mobile Bus der Caritas und eine Krankenstube für pflegebedürftige Obdachlose. Dies reiche aber nur für die akute Versorgung aus. „Chronische Krankheiten können wir damit kaum behandeln. Von der Diagnose ganz abgesehen.“ So könne sie in ihrer Sprechstunde nicht mal Blut untersuchen lassen.

650.000 Mark würde es kosten, die auch vom Diakonischen Werk geforderte Infrastruktur zu schaffen. „Wir wollen, dass die Untersuchung eine politische Diskussion entfacht“, sagt Diakonie-Vertreter Peter Schröder-Reineke. Bei der Übernahme der Kosten sei nicht nur die Stadt, sondern auch die Kassen in der Pflicht.

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