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Das Sozialamt stinkt sie an

Komplett abgebrannt kommen junge Erwachsene aufs Sozialamt. Dort treffen Ratsuchende auf Großmäuler und Optimisten auf die Wirklichkeit. Sie haben nichts gemeinsam – außer Sozialhilfe

Die Strategie des Sozialamtes setzt auf Abschreckung statt auf Hilfe

von ARMIN BEBER

Die Stimme der Sachbearbeiterin klingt schon am frühen Morgen genervt. Noch ist kaum jemand auf den Gängen des Sozialamts Mitte zu sehen, und die meisten Warteplätze sind verwaist. Nur Robert Büsse* (24) ist bereits kurz nach acht da und damit wahrscheinlich der Erste, der heute einen Anschiss kassiert. Er ist bei der Erklärung seiner Kontoauszüge durcheinander gekommen. Vielleicht fehlt auch einer, so genau scheint er nicht den Überblick zu haben. Nur eins weiß er ganz genau. Heute muss er das letzte Mal als Bittsteller zum Sozialamt. Total pleite wartet er darauf, endlich den Kassenbeleg in den Händen zu halten. Und dann nichts wie raus, nach vorn schauen, die ABM-Stelle am Flughafen fest im Blick. In seinen Augen lässt sich Optimismus ablesen.

Das letzte halbe Jahr hat Robert von Sozialhilfe gelebt, weshalb er mit tausenden anderen jungen Leuten ins Visier von Rudolf Scharping geraten ist. Dessen Verdacht: Gerade junge Sozialhilfeempfänger ruhen sich auf Staatskosten aus. Dem Minister geht es ums Geld, nicht um die jungen Leute. Das hat auch Robert gemerkt. Erweiterter Hauptschulabschluss, abgeschlossene Tischler-Lehre, seit einem halben Jahr arbeitslos, so steht es in den Akten, und für letzteres musste er sich ein halbes Jahr lang rechtfertigen. Trotz Ausbildung kein Job? Er hatte viel Ärger um eine versehentlich heruntergerissene Heizung, sagt er. Anderweitige Bewerbungen? Etwa zwanzig könne er vorweisen. Viel zu wenig, wenn die Faustregel, jeden Arbeitstag eine Arbeitsbemühung, gilt. Deshalb habe es zum Geld immer noch Geschimpfe dazu gegeben, bemerkt er. Seit Anfang August hat er eine neue Chance auf dem Vorfeld vom Flughafen Tegel, erzählt er weiter. Be- und Entladen von Flugzeugen. Vier von zwanzig werden übernommen. Robert will sich durchbeißen, um in einem Jahr nicht wieder auf derselben Hartplastikschale zu sitzen wie heute.

Sozialamt Neukölln, zwei Stunden später. Hier stehen die Menschen in den langen Gängen mittlerweile Schlange. Unter den Wartenden zahlreiche junge Leute mit demselben Anliegen: Sozialhilfe. Ansonsten ist kein einziger Fall mit dem anderen vergleichbar.

Tim (25) ist Musiker und zum ersten Mal hier. Als einer der wenigen macht er den Eindruck, als ob er sich von der Atmosphäre nicht unterkriegen lässt. Das Sozialamt stinkt ihn an. Und die politische Diskussion über die Streichung der Sozialhilfe findet er albern. Das sei längst üblich. „Die schmeißen dich eher raus, als dass die dir was geben“, schimpft er. Die Strategie des Sozialamtes setze auf Abschreckung statt auf Hilfe. Leute ohne Selbstbewusstsein seien mit ihrem Anliegen doch chancenlos, resümiert er mit Blick auf andere. Ihm selbst dürfte es an Selbstbewusstsein kaum Mangeln. Zwei Monate fahnenflüchtig, droht ihm noch eine Bewährungsstrafe. Aber wen interessiert’s! Wichtiger ist doch, dass er sich mit seiner Band an ein Label binden will, und im Filmgeschäft wird er auch wieder was finden.

Auf dem Gang daneben kauert der 18-jährige Christoph. Dass er nur schwer unterzubringen ist, weiß er selbst. Mehrmals sitzen geblieben, nach der siebten Klasse abgebrochen, steht er ohne Abschluss und Zukunftsperspektive da. Seine Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz als Maler, die er regelmäßig schreibt, kommen mit Bedauern zurück, und mit jedem Schreiben weiß Christoph weniger, was er jetzt eigentlich anfangen soll. „Vielleicht müsste ich mehr machen“, überlegt er. Ein „aber“ traut er sich nicht. Nur mit Leuten, die von vornherein nicht arbeiten wollen, will er auf keinen Fall in einen Topf geworfen werden. Solche, die sich auf Sozialleistungen ausruhen.

Damit könnte er Hassan meinen, der lässig auf seinen Aufruf wartet, um die dringend benötigte Kohle abzuholen. Auch er ist 18, auch er hat die Schule abgebrochen, aber Zukunftsängste plagen ihn nicht. Die letzten anderthalb Jahre habe er als Küchenhilfe bei Burger King geschuftet, jetzt sei er mal faul und ruhe sich aus, erklärt er. „Machen doch alle hier!“ Für das Statement ist ihm Scharping sicher dankbar.

* Alle Namen geändert.

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