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Die Kampagne „Moosbacher“

Die Rubbellos-Aktion zur Eroberung des deutschen Käsemarktes: Ein Drehbuchautor, dessen letztes Werk nicht weniger als 23 Produktionsfirmen ablehnten, wird dank seiner österreichischen Staatsangehörigkeit und dem dazugehörigen charmanten Dialekt als Supermarkt-Promoter gecastet

von THOMAS VOBURKA

„Heute ist Rubbeltag“, ruft der Mann, der an der Eingangsschranke des Verbrauchermarktes in Köln-Gremberg den Kunden den allzu raschen Eintritt erschwert, und er ist schneller als Al Capone mit dem Maschinengewehr: „Es gibt wunderschöne Gewinne. Greifen Sie zu der Herr, rubbeln Sie mit, die Dame!“ Ein Herr meint: „Meine Frau rubbelt nie“, aber die meisten gehorchen, weil der Mann in der rustikalen Lodengarnitur nicht so aussieht, als stünde er hier, um zu diskutieren.

„Was gibt es denn zu gewinnen?“, fragt eine neugierige junge Frau. „Das erfahren Sie noch früh genug!“ Immer dasselbe. Immer die gleiche Litanei. Jetzt schon seit 24 Tagen. Warum war er überhaupt hier?

Alles hatte damit begonnen, an jenem Montag im Mai, dass ihn das Klingeln des Telefons frühmorgens aus seinen Träumen riss. Frau Thyssen von der ADP-Werbeagentur erklärte, sie hätte seine Nummer vom „Künstlerdienst des Arbeitsamtes“ und machte ein Angebot, das ein Autor, dessen letztes Drehbuch von 23 Produktionsfirmen abgelehnt worden war, aus wirtschaftlichen Überlegungen besser annehmen sollte. Die österreichische Käsefirma „Schärdinger“ suchte für eine geplante Promotion-Kampagne geeignete Repräsentanten. Frau Thyssen hielt unseren Drehbuchautor für besonders qualifiziert, da er durch seine österreichische Staatsangehörigkeit und den charmanten Dialekt bereits die wichtigsten Grundvoraussetzungen erfüllte. Sie lud ihn zu einem Casting ein.

Alpiner Herr Antje

Dies schien ein Job nach seinem Geschmack: Er sah sich bereits von allen Litfaßsäulen lächeln. Vielleicht würde er gar die österreichische Version der holländischen Frau Antje sein? Und hatten nicht schon in frühester Jugend alle Verwandten seine ebenmäßigen Züge lobend erwähnt?

Doch die Ernüchterung folgte schnell: Nicht etwa als Model war er gefragt, seine Aufgabe würde bedeutend näher am Kunden und deshalb ungleich verantwortungsvoller sein. Der Drehbuchautor V. sollte zum Käsepromoter werden. Im Eingangsbereich von Supermärkten würde er mit Rubbellosaktionen die Menschen über das Glücksspiel zum Käse führen.

Edamer, Tilsiter, Harzer. Appenzeller, Stilton, Gouda, Münster, Schafskäse, Chèvre von der Ziege, Emmentaler aus dem Allgäu oder aus der Schweiz. Parmesan, Gorgonzola, Camembert, oder lieber Brie? Die deutsche Käsetheke ist voll. Will man also als Neuling reüssieren, bedarf es eines einleuchtenden Arguments, oder: „Weshalb kosten hundert Gramm vom ‚Moosbacher‘ 2,49 Mark, wo Leerdamer, der ähnlich aussieht und genauso riecht, schon für neunundneunzig Pfennige zu haben ist?“

Während des knapp vierstündigen Vortrages zur Lage des Käses und der (österreichischen) Nation wurden solche und ähnlich dringende Probleme, wie „Schnitttechniken des Käses“, „Art und Weise des Samplings der Lose“ und „Auf- und Abbau des Werbestandes“, befriedigend geklärt, während unser Held der Frage nachhing, warum er, anders als geplant, der einzige Österreicher war, der sich bereit erklärt hatte, seinem Land Käsedienste zu tun.

Reizvolle Gewinne

Nicht schlimm, denn nach der Einkleidungszeremonie entwickelte sich unversehens das von den Werbestrategen so sorgfältig ausgeklügelte alpenländische Flair. Nachdem die Schlüssel der Promotionfahrzeuge mit den zwei Meter hohen Rundkäse-Attrappen verteilt waren, stand der Eroberung des deutschen Käsemarktes nichts mehr im Weg. Laut Straßenverkehrsordnung dürfen Fahrzeuge mit Aufbauten höchstens 80 fahren. Aber eilig hatte es der „Österreicher“ auf dem Weg zu seinem ersten Einsatzort ohnehin nicht.

Gerne wäre er auch wieder umgekehrt, als sich die Fassade des Supermarktes aus dem morgendlichen Nebel erhob, doch dann tat er, was die österreichische Molkereiwirtschaft von ihm erwartete: Er schwang sich aus dem 2,4-Liter-Diesel, hievte das Schild mit der Aufschrift „Heute hier im Markt“ aufs Dach, schmiss die reizvollen Gewinne – Schreibblöcke, Bleistifte und Jutetaschen – in den nächsten Einkaufswagen und steuerte entschlossen auf den Eingang zu.

35 Regalreihen entfernt, gegenüber der Käsetheke, versuchte sich Kollegin Jutta aus Leipzig inzwischen den Instruktionen gemäß im Aufbau des Werbestandes. Und obwohl er eigentlich nicht dazu angehalten war, merkte der Österreicher sofort: Hier ist der Kavalier gefragt. Nach weniger als einer Stunde meldete sich das Team in der Zentrale einsatzbereit.

Fünf bis zehn Lose zu einem lockeren Fächer in der Hand geformt, damit der Kunde meint, die freie Auswahl zu haben. So sah es der Einsatzplan vor. Was er nicht vorsah: Bei der Aussicht auf einen satten Hauptgewinn, in Form eines Einkaufsgutscheines von 50 Mark, überlegt der Kunde gern länger. Je länger er überlegt, desto schwerer fällt die Wahl, was im sensiblen Eingangsbereich sofort zu einem gewissen Rückstau führt.

Deshalb, neue Strategie: Kommt der Kunde nicht zum Los, muss das Los zum Kunden, einfach dem Opfer in die Hand gedrückt. Ein solches Verhalten ruft mitunter gewisse Proteste hervor. „Lassen Sie uns, wir haben nie Glück im Spiel!“ Doch die Sorge ist unberechtigt: Denn jedes Los ist ein Treffer und berechtigt zum Erhalt eines Bleistiftes oder Blocks.

Auch über die Hauptgewinne entscheidet nicht der Zufall, sondern allein die Gnade des Verteilers, der jedoch strengen Richtlinien unterworfen ist: Jutetaschen und Einkaufsgutscheine gibt’s nur für Bedürftige. Unser Käsebotschafter fühlte sich diesem Diktat so lange verpflichtet, bis ein älterer Herr nach Gewinn eines Jutebeutels einen unerwarteten Schwächeanfall erlitt. Fortan verteilte der Promoter die wertvolleren Gewinne nur noch an jüngere Frauen.

30 Teams im Einsatz, von Flensburg bis zum Bodensee, so eine Werbeaktion verschlingt eine schöne Stange Geld. Alles in allem einen hohen siebenstelligen Betrag, weshalb der Promoter auch angehalten ist, für sein Geld (175 Mark pro Tag), was zu tun. 1.000 Lose am Tag sind zu verteilen, was nach Ansicht des Marketings bedeutet, dass ungefähr 800 Menschen ihren Gewinn auch abholen. Langjährige Studien haben ergeben, dass in vergleichbaren Fällen 20 Prozent der Lose direkt weggeworfen werden. Nach Meinung der Absatzstrategen sollte dann jeder Fünfte zum Erwerb eines ca. 250 Gramm schweren Stückes Käse zu animieren sein – macht 40 kg „Moosbacher“ am Tag.

In der Realität zeigt sich jedoch, dass bestenfalls jeder Zehnte maximal hundert Gramm kauft, und auch die Gewinne sind nicht immer jedermanns Geschmack: „Was soll ich mit ’nem Bleistift, ich hätt lieber ’n Block.“ Allein die Jutetaschen mit dem schmucken Firmenemblem sind überall heiß begehrt. Besonders die Promotiondamen anderer Firmen werden angesichts dieser Kleinode schwach. Sie bieten Bier, Konfekt und manches Versprechen. Und so geschieht es schon am dritten Tag, in Ratingen-West: Der Österreicher durchbricht das strikte Alkoholverbot.

Wenn der Käse fehlt

Unkalkulierbare Risiken gefährden mitunter den Erfolg einer minutiös geplanten Werbeaktion. Zum Beispiel: Das Promotionteam ist motiviert und pünktlich erschienen, jedoch der Käse nicht. Oder: Der Käse ist da, aber nicht mehr ganz frisch. Ganz selten: Im Prinzip ist er da, aber der Promoter ist wenig motiviert und findet ihn nicht.

Trotz gelegentlicher Probleme also, und obwohl der deutsche Käsemarkt offensichtlich nicht im Handstreich zu nehmen ist, gab es nach Abschluss der dreimonatigen Kampagne warmen Dank und einen Becher, auf dem in goldenen Lettern geschrieben stand: „Zur Erinnerung an eine gelungene Aktion“.

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