: Irritierende Sachlichkeit
Bayer Leverkusen schafft, lakonisch kommentiert von Trainer Klaus Toppmöller, gegen Roter Stern Belgrad den Einzug in die Champions League und sorgt beim Mutterkonzern für Entspannung
aus Leverkusen ERIK EGGERS
Momentan gibt es wohl kein besseres Beispiel als Bayer Leverkusen, um die verstörende Schnelllebigkeit des Fußballs zu illustrieren. Denn wer das zweifelhafte Vergnügen besaß, am 34. Spieltag der letzten Saison ein entnervtes Team zu beobachten, der wollte am Dienstagabend die Wandlung zu einer vor Selbstbewusstsein und Spielfreude strotzenden Elf nicht glauben. Wohin man auch schaute, überall ungläubiges Staunen. Hängen diese beiden Matches doch zusammen. Der glückliche 1:0-Sieg gegen den VfL Bochum aus dem Mai sicherte erst die Qualifikation zur Champions League.
Das Warmlaufen zur europäischen Elite-Liga, in dem nicht weniger auf dem Spiel stand als 35 Millionen Mark, ist überstanden. Die Überlegenheit der Leverkusener wird allein aus den Torszenen deutlich. Das 3:0, und noch mehr das 2:0 zur Halbzeit, war ein viel zu geringer Gegenwert für den Elan der Heimelf, in der sich das Können weit über der Höhe der Grasnarbe bewegte. Kapitän Nowotny sagte: „Wir hatten nicht nur Spaß am Fußballspielen, sondern auch am Kämpfen.“
Doch nicht nur dieses Detail, von dem heutzutage so viel abhängt, kündet von einer neuen Elf. Egal, wie schwach sich auch die Jugoslawen präsentierten, so war doch die Selbstsicherheit und Ruhe bemerkenswert, mit der die Leverkusener ihr Spiel zu entwickeln vermochten – kein Vergleich mit dem Nervengeflatter der Ära Vogts. Alle Mannschaftsteile funktionierten tadellos, vor allem aber der Mittelfeldmotor der Rheinländer war beängstigend gut geschmiert; je nach Spielsituation forderten entweder Ballack, Bastürk oder Schneider den Ball, um das Spiel für den finalen Schuss zu öffnen. Mit verblüffender Leichtigkeit setzten sie Neuville und Kirsten gefährlich ein. Nur Sebescen hatte keinen richtigen Zug nach vorn. Aber hinten, analysierte Trainer Klaus Toppmöller, „haben Lucio und Nowotny wieder alles abgeräumt. Mit ihrer Zweikampfstärke sorgten sie dafür, dass uns im Mittelfeld ein Mann mehr zur Verfügung steht.“
Überhaupt, der neue Coach. Auch er darf als gut funktionierendes Mosaik im neuen Bayer-Bild bezeichnet werden. Toppmöller erklärte, erst jetzt könne man von „einem geglückten Saisonstart sprechen“, keine Übertreibung angesichts von sechs siegreichen Spielen unter ihm. Die unaufgeregte Art des Pfälzers setzt einen Kontrapunkt im Vergleich zu den Vorgängern. Cool und sachlich seine Analysen, dazu noch irritierend lakonisch. Vielleicht brauchten die Spieler in der neuen Saison Sätze wie „Spieler sind nur Menschen, keine Maschinen“ oder „man kann sich auch totquatschen“.
Manager Reiner Calmund jedenfalls ist von der „neuen Sachlichkeit“ und der Persönlichkeit des Trainers begeistert: „Toppi ist ein abgezockter, cleverer Junge, der es versteht, einen persönlichen und ehrlichen Kontakt zu den Spielern herzustellen, egal auf welcher Intelligenzebene sie sich befinden.“ Für ihn, der sich vorher in seiner Aufregung „ein kleines Beruhigungspillchen“ eingeschmissen hatte, war diese Partie „gleichbedeutend mit Unterhaching“. Dass es jetzt die Champions League sein darf, ist laut Calmund wichtig in einer Zeit, „in der alle Klubs aufrüsten, siehe Schalke und Dortmund“. Wie schnell das Eis auch bei Bayer Leverkusen brüchig werden kann, weiß er schließlich am besten. „Ohne Europapokal“, sagte das Schwergewicht, „können wir uns ein Jahr über Wasser halten mit diesem Kader.“ Und trotzdem werde Leverkusen seinen lange eingeschlagenen „vorsichtigen Weg der Transferpolitik auch jetzt nicht verlassen“.
Wahrscheinlich tröstlich für den Manager, dass wenigstens diese eine Konstante bleibt. Wo doch sonst alles im Fluss ist: In der letzten Saison schien der Verein noch ein schmieriger Fleck auf der chemisch-reinen Weste des Bayer-Konzerns zu sein. Jetzt, mittendrin in Diskussionen um Lipobay und Kontraindikationen, muss die Fußballabteilung herhalten, um wenigstens auf dem Rasen ein positiveres Image zu transportieren. Auch Calmund wird die modernen Zeiten verwirrend finden.
Bayer 04 Leverkusen: Butt - Sebescen (80. Zivkovic), Lucio, Nowotny, Placente - Schneider (84. Vranjes), Ramelow, Bastürk - Ballack - Kirsten (67. Ojigwe), Neuville Roter Stern Belgrad: Disljenkovic - Vukomanovic, Matijasevic, Lalatovic - Markovic, Lerinc (80. Glogovac), Acimovic (56. Bratic), Ilic (67. Kocic), Gvozdenovic - Spalevic, BoskovicZuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Neuville (13.), 2:0 Kirsten (30.), 3:0 Neuville (60.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen