: Kleine Himmelskunde
■ Aufsteigende Sterne überprüfen ihre eigene Anziehungskraft
Anstelle der etwas mauen Eröffnung, was in Bremen immer dann passiert, wenn der Sommer kommt, und wie das mit der Vorband vom Donnerstag zu tun hat, die auch „Sommer“ hieß, erzähle ich lieber einen alten Lieblingswitz: Vor langen Jahren war einmal in einem Punker-Heft zu lesen, Deutsch-Punk sei ein Phänomen, das es eigentlich nur in Deutschland gegeben habe.
Die Vorstellung, es wäre beispielsweise in London eines Tages zu Gründungen von Bands gekommen, die in deutscher Sprache vom Biertrinken und/oder Systemficken singen, ist nicht ohne Reiz - wenn auch haltlose Spekulation. Das Konstituierende von Deutsch-Punk jedenfalls ist im Grunde die Sprache.
Aber wie ist das mit Brit-Pop? Sommer klangen durchaus nicht selten nach Beatles, Blur und Konsorten, nur eben die Texte nicht, denn die sind bei Sommer in deutscher Sprache. Dass derartige geographische Zuweisungen ohnehin recht schnell hinfällig sind, wenn sie überhaupt einmal etwas Zutreffendes aussagen konnten, dürfte klar sein.
Die Übernahme und Aneignung musikalischer Formen gehört seit je zum guten Ton, ja, ist beinahe unabdinglich für Musik, die nicht in Langeweile erstarren will. Es bleibt höchstens die Frage, wie im Einzelfall mit dem Material umgegangen wird. Bei Sommer geschieht das solide, wenn auch noch ohne allzu eigene Handschrift, was auch mit der Wahl der Fremdkomposition korrespondiert: Da musste es doch mal wieder „Das Model“ von Kraftwerk sein.
„Polarstern“ kamen im angenehm gefüllten Tower weit schneller auf den Punkt. Im Verlauf eines knappen, kompakten Sets führten sie ihr reduziertes Konzept vor: Keine angeberischen Soli, sondern rhythmische und melodische Prägnanz. Durch den wohl dosierten Einsatz harmonischer Reibungen und der Vermeidung des allzu nahe Liegenden wirken sie frisch und originell. Nicht zuletzt die helle, angeraute Stimme von Andreas Cordes setzt Akzente. Lediglich in der Lyrik scheint der Grat zwischen Platitüde und dem Spiel mit ihr bisweilen zu schmal, durfte die „Stille“ durchaus unironisch „laut“ werden.
Das Publikum jedenfalls entließ die Band erst nach einer Zugabe mit begeistertem Applaus. Polarstern genossen es sichtlich. So ein „ganz normaler“ Auftritt ist ja nicht zuletzt auch eine Probe darauf, ob der Gewinn von Wettbewerben wie „Live in Bremen“ oder „New Sensation“ denn einer Wertschätzung seitens des Publikums entspricht oder diese befördern kann. In dieser Hinsicht darf der Auftritt durchaus als Erfolg gewertet werden. Bleibt nun abzuwarten, wie es weiter geht.
Andreas Schnell
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen