: Die wahrhaft coole Nummer
Der Weddinger Fünftligist SV Yesilyurt wehrt sich in der ersten Pokalrunde lange gegen die Bundesligaprofis aus Freiburg. Doch am Ende ohne Erfolg. Und zugeschaut hat auch kaum jemand
von ANDREAS RÜTTENAUER
Die Enttäuschung war groß bei den Verantwortlichen des SV Yesilyurt nach dem DFB-Pokal-Spiel gegen den SC Freiburg. Nicht wegen der Niederlage, mit der haben wohl selbst hartnäckige Optimisten gerechnet, sondern wegen des geringen Zuschauerzuspruchs. „Wir haben alles versucht“, haderte nach dem Spiel der Manager des Weddinger Fünftligisten, Gökmen Ilkyas, aber viel mehr als 2.000 seien letztlich nicht gekommen. Da hat er wohl ein wenig untertrieben, aber es war wirklich nicht viel los am Freitagabend im Jahn-Sportpark.
Weshalb interessieren sich die fußballbegeisterten Berliner Türken wohl so wenig für den Kampf ihres Davids gegen den Goliath aus der Bundesliga? Warum bleiben all die kirch- und kommerzkritischen Fußballfans, die allenthalben den SC Freiburg als ihr Modell für den etwas anderen Fußball lobpreisen, dem Stadion beim Spiel gegen ein Nordberliner Migrantenkollektiv fern, bei dem sie als sportbegeisterte Gutmenschen Flagge hätten zeigen können?
Wahrscheinlich hatte Freiburgs Trainer Volker Finke recht, als er anmerkte, die Yesilyurt-Macher sollten die Verantwortung für den schwachen Besuch nicht nur bei sich selbst suchen: „Vielleicht waren wir daran schuld.“ Der SC Freiburg ist zwar gut und schön, spielt bisweilen auch so, zieht aber anders als Bayern Müchen oder Borussia Dortmund keine Massen an. Und dass die Freiburger ebenso arrogant und pomadig auftreten können wie die Bayern, konnte ja niemand ahnen.
Ganz anders die Berliner, denen zwar nicht viel gelang in der ersten halben Stunde, die aber mit einer Begeisterung zu Werke gingen, als wollten sie noch einmal allen zeigen, wie stolz sie auf das Erreichen der ersten Runde im DFB-Pokal sind. Den Fans wurden zwar kaum fußballerische Leckerbissen geboten, aber es war doch ein wenig verwunderlich, wie ruhig es auf den Rängen blieb. Die etwa zehn Einpeitscher, die das Publikum auf der Haupttribüne immer wieder dazu animieren wollten, in ihre Yesilyurt-Sprechöre einzufallen, wechselten jedenfalls schon bald wütend auf die Gegengerade, um dort für Lärm zu sorgen.
Und auf dem Spielfeld? Den Weddingern machte es immer mehr Spaß und plötzlich gelang ihnen sogar ein Spielzug, der sie bis vor des Gegners Strafraum führte. Welch ernste Angelegenheit Fußball ist, zeigte die Reaktion des SC Freiburg. Yesilyurt wurde ausgekontert und nach 28 Minuten stand es durch Ibrahim Tanko 1:0 für die Gäste. Jetzt wurde es noch ruhiger im Stadion, man lehnte sich zurück, und vielleicht wurden schon die ersten Wetten darüber abgeschlossen, wie hoch der Bundesligist wohl gewinnen werde.
Doch Yesilyurt kam zurück und endlich war etwas von Pokalatmosphäre im Stadion zu spüren. Das lag nicht nur am Ausgleich durch Stürmer Özcan Yakut fünf Minuten vor dem Halbzeitpfiff, sondern vor allem an der Art und Weise, wie er sich darüber gefreut hat. Es muss einer der größten Momente in seinem Fußballerleben gewesen sein und endlich übertrug sich die Freude der Berliner Spieler auf die Ränge.
Auch nach dem Seitenwechsel geschah noch einmal Unerwartetes. Auf die erneute Freiburger Führung durch Alexander Iaschwili (57. Minute) reagiert Yesilyurt-Kapitän Orhan Perktas mit einer wahrhaft coolen Nummer. Zunächst wendet er sich – im Mittelkreis stehend – dem Publikum zu, fordert die Zuschauer mit rudernden Armen zu Anfeuerungsrufen auf. Dann schnappt er sich den Ball, marschiert mit ihm bis zur Strafraumgrenze, zieht ab und trifft zum 2:2, zwanzig Minuten vor Spielschluss.
Pokalgeschichte hat er dennoch nicht geschrieben. Ein Doppelschlag der Freiburger in der 76. und 78. Minute zum 2:4 beendet die Träume der wackeren Weddinger. Nach dem Abpfiff winken sie noch einmal den Zuschauern zu, die freundlich applaudieren. Die da waren, denen hat es gefallen. Leider waren es nicht viele.
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