Einzigartige Biografie

■ Ein Leben mit den Göttern: Claudia Willkes Dokumentarfilm besucht die Künstlerin Susanne Wenger, die als Schamanin bei den Yoruba lebt

Wenn europäische Ethnologen und Linguisten sich auf den Weg nach Afrika machten, um dort Feldforschung zu betreiben, fungierte ihr wissenschaftliches Raster dabei als Werkzeug, Beobachtungen mit erkenntnistheoretischer Formulierung zu belegen. Gleichzeitig zeugte es aber auch, fest verwurzelt im rationalen Forscherverstand, von den Werten des Abendlandes. Und so verließen – mit wenigen Ausnahmen – die Wissenschaftler den Kontinent auch wieder als Europäer, bereichert um Analysen und persönliche Eindrücke einer fremden Kultur. Was aber, wenn das Gesehene, das Erfahren der Tradition, der Riten und menschlichen Umgangsformen, den Besucher einzunehmen beginnt und es tatsächlich vollbringt, dieses axiomatische Raster zu untergraben, es unbrauchbar werden zu lassen?

Hier beginnt die Dokumentation Ein Leben mit den Göttern mit ihrer einzigartigen Geschichte: Susanne Wenger kam Anfang der 50er Jahre aus Paris zu den Yoruba, nicht um zu forschen, sondern als Künstlerin, die ihren Mann, einen deutschen Linguisten, begleitete. Damals 36 Jahre alt, entdeckte sie schnell die „richtigen Gefühle“, die dieses Volk aus dem Südwesten Nigerias vom biederen Westeuropäer unterschied.

An einer lebensgefährlichen Tuberkulose erkrankt, konnte Wenger für ein Jahr das Bett nicht verlassen und befasste sich zum ersten Mal intensiv mit der Religion der Yoruba. „Der Körper muss vom Schicksal erst einmal windelweich geschlagen werden, damit er als Schamane die konventionellen Grenzen des Lebens überschreiten kann.“ Die Krankheit begriff sie später als Botschaft an die Auserwählte, als Beginn der Initiation. Nach ihrer Heilung brach die Österreicherin mit ihrer Vergangenheit und beschloss, Priesterin zu werden. Ein Guru entdeckte in Wenger tatsächlich eine besondere Kraft und instruierte sie in einer zehnjährigen Pries-terweihe. Jetzt schien sich das Schicksal als ganzes hinter Wenger zu stellen. Der Ent-schluss, bei den Yoruba zu bleiben, wird als absolut, unabwendbar und vorherbestimmt betrachtet. „Es ist da sicher etwas prägenetisch. Oder alles ist prägenetisch“, resümiert die 86-Jährige im Film pathetisch. In ihrem weiteren Leben wusste sie die frühere Liebe zur Kunst mit den Aufgaben der initiierten Priesterin zu verbinden. Als „Laufbursche der Götter“ wiederbelebte sie die heiligen Haine von Oshogbo durch die Restauration und Neuerschaffung von Schreinen und Plastiken zu Ehren der verschiedenen Gottheiten.

Die Person der Susanne Wenger, ihre einzigartige Biografie und die zahlreichen Zitate, die eindrucksvoll von ihrem tiefen Glauben zeugen, füllen die Dokumentation mit einer Art nachdenklich anregenden Weisheit. Gelegentlich kontrastieren allerdings die Bilder, die der Film vom Leben der einheimischen Dorfgemeinschaft mit der Religion zeichnet, mit den vorhergehenden Beschreibungen Wengers. Während diese nämlich, gemeinsam mit ihren Adoptivkindern Shangodare und Doyin, Tag für Tag nach den Grundsätzen der ani-mistischen Lehre zu leben sucht und die zyklischen Rituale verrichtet – „bei nicht Abhalten geht die Welt zu Grunde“ –, zeigt der Film die Yoruba zwar beim traditionellen Abhalten der Opferfeste. Die Haltung der Dorfgemeinschaft selber zu den Bedrohungen ihres Kulturerbes, der sich Wenger mit aller Kraft entgegenstellt, bleibt jedoch unklar. Da wirkt Wenger zuweilen etwas allein gelassen mit ihren von der Kunst geprägten, unkonventionellen Dogmen als Verfechterin der Religion gegen Islam, Christentum und Beschützerin der Kultstätten vor kommerzieller Nutzung. Unberührt von den Gefahren des Traditionszerfalls schimmert, als Beweis für den spirituellen Ideenreichtum dieser natur– und lebensverbundenen Religion, die Gestalt der zur Yoruba gewordenen Wenger, die ihre scheinbar fremden Glaubenserfahrungen eindrucksvoll für den europäischen Zuschauer übersetzt. Manuel Weber

Premiere in Anwesenheit der Regisseurin: Freitag, 20 Uhr, Lichtmesz