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Easy Rider auf der Suche

■ Es wimmelt von Klischees, die Inszenierung ist aber sehr gelungen: „John & Mean“, ein Live-Hörstück im Jungen Theater von Schauspieler Denis Fischer

Langenscheidts Wörterbuch Englisch: mean Ämi:nÜ gemein, niedrig, gering; armselig; knauserig; schäbig; Mean ist aber gar nicht gemein, eher ein Träumer; gut, vielleicht ein bisschen armselig, aber auf keinen Fall knauserig, einfach ein Möchtegern-Cowboy. Mean lebt mit seinem Kumpel John in einer wahren Männerfreundschaft. Die beiden tingeln durch die Welt. Mean spielt ab und an Gitarre in versifften Klubs, John ist auf der Suche nach seinem Dad, den er nie gekannt hat Denis Fischer nennt es ein Live-Hörstück, ein Roadplay. Er muss es wissen, hat „John & Mean“, das am Mittwoch im Jungen Theater Premiere feierte, schließlich geschrieben und spielt selbst die Rolle des Mean. Ort der Handlung ist ein auseinander gesägter Wohnwagen, in dem die beiden Freunde kiffen, trinken und tiefsinnige Gespräche führen. Mean ist der Erzähler der ganzen Geschichte.

Die beiden Jungs sind nicht ganz sauber, bauen immer wieder ziemlichen Bockmist. John, gespielt von Nils Westermann, hat in einem der Klubs einen Cowboy-Sänger erschossen: „Er hat schlecht über meinen Vater geredet.“ Außerdem habe er sowieso schlecht gespielt und das reicht Mean als Begründung. John raubt einen Klubbesitzer aus, der die beiden um ihre Gage bringen will. Für Mean ist das o.k., er träumt weiter von seiner verflossenen Liebe Lilly Lovetime, hat sich sogar ihren Namen auf den Gitarrenhals gravieren lassen.

So reisen die beiden weiter. John findet seinen Vater, Mean endet unterernährt und völlig kaputt im Krankenhaus. John, der sich mittlerweile als Hanfbauer verdingt, holt ihn da raus, plündert seine Plantage, und die beiden feiern ein großes Erntedankfest. Eine schöne Geschichte, die Fischer da geschrieben hat. Man könnte sie verschlingen, genauso wie „Gullivers Reisen“ oder irgendwas von Stuckrad-Barre. Cowboy-Idylle pur, ein unbekümmtertes Leben, der Geruch von Abenteuer. „Es gibt nichts Besseres, als den Mittelstreifen an sich vorbeiziehen zu lassen, Keiths Gitarre zu lauschen und die Seele baumeln zu lassen...“ Easy Rider.

Vielleicht ist es aber gar nicht so gut, dass Fischer beim Jungen Theater schon ein richtig alter Hase ist. Für die Rolle des Mean nahm er jedes klitzekleine Klischee aus seinen vorherigen Rollen liebend gerne auf. Wieder einmal ist er der arme Junge, der für Geld alten Männern beide Arschbacken hinhält. Der Junge, der seinen nackten Hintern ins Publikum reckt, die schöne Blonde dann aber doch nicht bespringt, weil er ja eigentlich nur Lilly liebt – und seine Gitarre.

Als Sahnehäubchen des Ganzen dachte sich Denis Fischer scheinbar: Johns Vater sollte eine Karriere vom Drogendealer zum Pornofilmer durchlaufen, genau! Damit sich die Stammzuschauer des Jungen Theaters gleich richtig heimisch fühlen. Die Inszenierung selbst spielt allerdings in der Oberliga, keine Minute herrscht Langeweile. Fischer und Westermann mimen ihre Rollen so gut, dass man niemals auf die Idee käme, sie seien real jemand anderes als John oder Mean. Mitten in Means Monolog über Sinn und Unsinn seines Tuns stürzt dann plötzlich Regisseurin Andrea Liebezeit aus dem Raum, schreit: „Ich kann mir diese Scheiße nicht mehr anhören, du Möchtegern-Cowboy.“ Das Publikum rätselt. Gehört das zum Stück? Ist das jetzt echt?

Es gehört natürlich zum Stück. Wieso sollte eine Frau, deren Name sich ein trauriger Cowboy in den Hals seiner geliebten Gitarre graviert, deren Fotos („Lilly Lovetime“) Mean bis in die Träume verfolgen... Wieso sollte eine solche Frau knatschig aus dem Raum stürmen? Wäre nicht jede andere puterrot angelaufen und absolut verzückt?

Susanne Polig

Denis Fischer und Nils Westermann spielen „John & Mean“ am 9. sowie 11. bis 13. September jeweils um 20.30 Uhr im Jungen Theater im Güterbahnhof.

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