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Reality bites

Kennt keine Zeit und kein Alter: David Thomas und die Two Pale Boys im Quasimodo

Wie alt David Thomas wohl heute sein mag? Angefangen hat er Ende der Sechzigerjahre, also dürfte er so um die fünfzig sein. Aber das macht nichts: David Thomas und seine Musik kennen keine Zeiten und kein Alter. Seine Stimme klingt so zerbrechlich, flehentlich, warm und geflüstert, als wolle sie nicht wirklich aus den Lautsprecherboxen heraus. Was aber heraus kommt, ist magisch, lässt jede seelische Bürde leichter werden.

Rocket From The Tombs in den Siebzigern, die klangen wie MC 5, die sich mit Sonny Rollins und den Dead Boys ein paar schöne Stunden machen, Père Ubu in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern, die immer als New-Wave-Helden durchgingen, dann die hartnäckigen Pedestrians: Es ist erstaunlich wie Thomas jetzt mit seinen Two Pale Boys sein Schaffen bruchlos weiterführt. Ja, was da mit Trompete, Midi-Gitarren-Set-up, Melodeon, Echogerät und Delays so alles geht.

„Raygun Suitcase“, sein letztes richtiges Bandalbum, war rau, grob, dreckig, hart und direkt. Seitdem sind fast sieben Jahre vergangen. Ein Katzensprung für David Thomas. Eine Nanosekunde trifft auf eine Jahrmillion zum Zirkelschluss. Auf „Surf’s up“, dem aktuellen Album der Pale Boys, gibt es zwei Schlüsselsongs. „Driving“ und „Come Home“, Track 3 und 8, die zusammen gehören. „Driving“ beschreibt eine lange, lange Autobahnfahrt bei Nacht, wenn die Zeit still steht und Gedanken und Gefühle das Zepter übernehmen.

In „Driving“ heißt es: „The sky is talking to me, but I am afraid to look up“ und „I could die in a storm I know“. Er ist außerdem „afraid of the future in cinemascope“, aber man kommt zum Glück auch wieder nach Hause.

Ungefähr in der Zeit von „Raygun Suitcase“ habe ich David Thomas mal einen Brief geschrieben, noch an die Adresse in London. Ich bemängelte darin die Unmöglichkeit, seine frühen Alben zu kaufen, besonders das Live-Album „90 Degrees“ von 1980 mit wunderbaren Versionen von „30 Seconds over Tokyo“ oder „Humor Me“.

Ich hoffte nicht wirklich auf eine Antwort, aber es dauerte keine zwei Wochen, da hatte ich einen sehr netten Brief von ihm in den Händen. Er entschuldigte sich sehr dafür, dass seine frühen Alben „out of print“ wären. Er versprach Abhilfe. Auch das konnte ich nicht wirklich glauben.

Kein Jahr später gab es die Monsterbox, mit allen Père-Ubu-Platten der Anfangsjahre inklusive des Livealbums „90 Degrees“. David Thomas ist für mich ein Mann, der so viel Anerkennung verdient hätte wie Neil Young, gerade weil einer wie Young sagt, dass er immer und immer wieder den selben Song spiele und aufnehme. Klar, das ist Koketterie. Doch Thomas dagegen ist ständig auf der Suche, erweitert seinen Soundhorizont, erweitert seine Instrumentenpalette, schreibt wirklich neue Sachen. Gehet also hin und saugt euch voll mit Leben! Das Leben, das heutzutage zwanzigjährige Musiker nicht in sich zu spüren scheinen, geschweige denn ausstrahlen!

David Thomas wird leider völlig zu Unrecht immer wieder übergangen, vergessen und in irgendwelche Ecken gestellt. Der Mann ist, wie gesagt, um die fünfzig, aber seine Musik ist noch nicht in den Weiten des Cyberspace verschwunden, sie atmet, sie lebt, sie ist körperlich spürbar. Es soll nicht darum gehen, einen verknorpelten Hedonismus wiederzubeleben und dem Sensemann noch mal von der Schippe zu springen. Sondern um Seele, Geist und Musik, um die Zukunft, die immer auch aus den Speichern der Vergangenheit ihre Energien bezieht. Und jetzt gehet hin in Frieden!

PETER KÄMMERER

Ab 21 Uhr, Quasimodo, Kantstraße 12 a, Charlottenburg

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