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Sommertag am Badesee

■ Noch ist Sommer, sagt uns lächelnd der Kalender. Damit Sie sich entsprechend fühlen, lesen Sie hier den zweiten Teil unseres Rückblicks auf die Freiluft-Saison 2001

Ein heißer Sommertag im August. Ich beschließe, an den Badesee zu fahren und sage vorher meiner Vermieterin, mit der ich mit einigen anderen Leuten zusammenwohne, Bescheid. „Ach, mein süßer Schatz, fährst du wieder an den FCKW-freien, nein NSKK-Strand, wie heißt das denn bloß, es ist ja entsetzlich mit mir.“ „Ja, Inge, der Strand mit „K“ als Abkürzung, ganz recht.“

Inge ist um die achtzig, topfit und kämpft immer mit den Abkürzungen. NSKK ist eine ihrer weniger schönen Jugenderinnerungen und steht für „Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps“. An der textilfreien Badezone, doch kein „K“ in der Abkürzung, suche ich die Schwulenecke und verfehle sie, wie immer. Normalerweise lässt es sich da als Mädchen gut aushalten. Ab aufs Handtuch, gelesen und meine Ründchen geschwommen.

Ab und zu schaue ich auf. Eine Korona von Männern unterschiedlichen Alters um mich herum. Halt, nein, rechts von mir eine Mutter mit ihrem circa neunjährigen Sohn. Sie trägt nichts außer einem Taschentuch, das an vier Ecken geknotet ist und als Sonnenschutz auf ihrem Haupt ruht. Sie liest ihrem Sohn etwas vor. Bei erneutem Aufblicken bemerke ich, dass der Junge eine interessante Zuhörerhaltung eingenommen hatte: Er kniet, den Oberkörper auf die Decke gedrückt, den Hintern in die Höhe gereckt, die klassische Abschussrampenhaltung. Ich habe Aussicht auf seine Hinterseite. Weiterlesen. Blick links: Ein magerer junger Mann liest auf der Seite ruhend, den rechten Arm aufgestützt. Seine Eier sind zwischen beiden Beinen eingeklemmt und schauen hinten zwischen den Oberschenkeln hervor. Ich frage mich, ob das nicht wehtut. Weiter im Text.

Zwei unbekleidete, braun gebrannte Herren flanieren an mir vorüber. Der eine in weißen Gesundheitspantoletten, der andere in braunen Herrensandalen mit den gekreuzten, breiten Riemen. Dazu dunkelblaue Socken. Erotik pur. Mutter und Sohn gehen. Die Korona von Herren um mich herum ist nun lückenlos. Plötzlich aus der Ferne Gitarrengestümper, zwei Griffe und eine laute, falsche Männerstimme. Er singt, nein brüllt selbst gebastelte „Ich bin gegen alles und besonders gegen den Staat“-Lieder. Kein Publikum, das ihn bewundert hätte. Ich muss lachen. Die Herren um mich herum bemerken mein Gekicher. Ich sage zu ihnen, dass der Künschtler wohl noch in der Tradition des Protestsongs steht. Die Lacher sind auf meiner Seite. Einer informiert mich darüber, dass der Sänger seit zehn Jahren jeden Tag im Sommer am Badesee ist, um seine Mitbürger zu unterhalten.

Ein junger Mann, braun, Goldkettchen, Flasch Bier, fragt mich, was ich denn da lese. Wahrheitsgemäß antworte ich: „Rider Haggard, die Schätze des König Salomon in arabischer Übersetzung.“ „Waas?“ „Wieso, was?“ Nun musste ich einen Vortrag über meinen Lebenslauf halten, alle hörten gespannt zu. Der Protesttroubadix hatte verloren, mein Unterhaltungswert war doch höher.

Zum Dank sollte ich mich auf die Decke des Fragers setzen, was ich höflich ablehnte. War nicht mein Fall, der Freund mit Tennisclub. Ein paar Meter weiter eine sehr füllige Dame, hochblondiert mit afrikanischem Kind.

Männer gehen vorüber, nur im T-Shirt. Die Entscheidung kann nur heißen: entweder Sandale mit Socke oder Oberbekleidung, Hauptsache bloßgelegter Unterleib um dem Namen textilfreie Badezone gerecht zu werden. Im Hintergrund spielen laut kreischende Homosexuelle Boule. Der Eiswagen kommt, die Nackerten stehen Schlange. Nach einer Weile beschließe ich, dass ich für heute genug Genitalien geglotzt habe und packe meine Sachen. Welch Panoptikum! Da kann das Motto nur lauten: Wozu in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah.

Johanna Schott

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