: „Wer sich selbst zerstört, ist nicht mehr bedrohbar“
Thalia-Intendant Ulrich Khuon über prompt formulierte Vergeltungssehnsucht, deren archaischer Tenor dem der Terroristen in nichts nachsteht ■ Von Petra Schellen
Die Geschwindigkeit ist unvermindert, Einhalt geboten hat der Terror-Anschlag auf die USA allenfalls der individuellen Stimmung, Parties wurden vorsichtshalber abgesagt. Beileidsbekundungen kamen prompt, die Kondolenzlisten füllen sich stetig. Sogar der HVV hat ein Betroffenheits-Spruchband auf seine Bildschirme geschickt. Prompt kamen all diese Reaktionen – genauso prompt wie erste Schuldzuweisungen und die Ankündigung von Vergeltungsschlägen. Und rein qualitativ gewinnt man bei all dem nicht den Eindruck, dass ernsthaft innegehalten würde. Die Sehnsucht nach schneller und ultimativer Erklärung prägt die westliche Mediengesellschaft, denn die Tatsache, dass bisher nur virtuell Gespieltes Realität wurde, hat tatsächlich universell erschreckt.
Weniger Kongruenz herrscht bei der Frage nach Notwendigkeit, Art und Tempo einer Reaktion auf die ungreifbare Bedrohung – eine Frage, der auch Ulrich Khuon, Intendant des Thalia-Theaters, mühsam nachspürt: „Dieser Anschlag ist etwas, das bei mir erst langsam ankommt. Viele fordern jetzt ja schnelle Reaktionen, aber ich persönlich erlebe, dass sich das mit ganz neuer Langsamkeit in mich reinfrisst. Nicht so sehr, weil dies eine neue Dimension von Menschsein oder Gewalt wäre; das hat es immer gegeben. Die neue Dimension betrifft eher die Auswirkung. Denn der Terror liegt hier eher in der Tatsache, dass der Feind kein erlebbares Gegenüber mehr ist. Der Terror liegt in der Ungreifbarkeit und im Ausmaß der Verletzung.“
Eine Verletzung, die zielgenau traf und Vergeltungssehnsüchte wachrief – und damit eine neue Angst vor der gepriesenen westlichen Zivilisation. Angst vor einer genauso barbarischen Antwort, die aus US-Wahlkampftaktik, der Suche nach neuen Stärkesymbolen, Verzweiflung und Ratlosigkeit resultiert. „Es ist klar, dass der Wunsch, die Stärke wenigstens symbolisch wiederzugewinnen, mit dem Ausmaß der Verletzung wächst“, sagt Khuon. „Fraglich ist nur, ob man auf diese Art den Konflikt als Ganzes erfasst. Der Westen neigt ja in der Tat dazu, schnell zu urteilen, ultimative Lösungen anzubieten, Einzelerscheinungen mit ganzen Hemisphären gleichzusetzen und zu definieren, wo das Reich der Barbaren ist. Aber so einfach ist es nicht. Und mit dem Tod eventueller Anführer wäre das grundlegende Problem nicht aus der Welt: Die Tatsache, dass es nicht nur Verlierertypen, sondern ganze Verliererregionen und -nationen gibt, in denen unglaublicher Hass gewachsen ist, zeigt, dass einfache Lösungen nicht tragen.“
Khuon maßt sich dabei nicht an, die Lage in Nahost beurteilen zu können, aber „dass zum Beispiel Israelis und Palästinenser in ihrem Konflikt vermittelnde Hilfe brauchen, ist doch offensichtlich. Und es geht einfach nicht an, dass sich eine Macht wie die USA zurückzieht aus diesem Krisenmanagement, dass sie so tut, als ginge sie Kyoto nichts an und als könne sie sich abschotten gegen den Rest der Welt.“
Khuon ist sich, morgens, eine Stunde vor den Gedenkminuten im Thalia-Zuschauerraum, im warmen Büro, bewusst, dass er gut mäkeln hat. Er ist aber auch bereit, seinen Teil zu tun, „im jeweils ganz konkreten Umfeld natürlich, wo Konfliktbewältigung ja leider schon genügend Kräfte wegfrisst“. Aber wer Macht habe, sei auch verpflichtet, sie vermittelnd einzusetzen – „ohne dass ich sagen würde, Bush hat geerntet, was er gesät hat. Das wäre sicherlich zu einfach und zynisch“.
Khuon betrachtet das Problem eher psychologisch. „Man muss sich wirklich fragen, wie ein solcher Hass ganzer Gruppen, der einen solchen Anschlag ja erst ermöglicht, hat wachsen können. Und da können wir nicht einfach die Achseln zucken. Jeder Hass kommt schließlich irgendwo her, jeder Mensch hat eine Lebensgeschichte, und dieser Anschlag, der für uns rationale Westler so unbegreiflich scheint, birgt noch eine andere Dimension: den Appell an jedes Individuum, das Rätsel Mensch immer wieder neu durch Dialog auflösen zu helfen. Vergeltung kann im Konflikt keine Lösung sein, schon ganz praktisch nicht, was man ja in Israel sieht. Und jemand, der sich selbst zerstört, um andere mitzureißen, ist nicht mehr bedrohbar.“
Westliches Begreifen – begibt man sich mal jenseits der Klischees – setzt aus, fremde Verhaltens- und Denkmuster, die unsere nonchalante, neoliberale Erklärungswut konterkarieren, setzen dem Begreifen Grenzen – und öffnen doch neue Denkkanäle, wenn es etwa um Hybris geht, als deren Symbol die Attentäter das World Trade Center vermutlich empfunden haben. „Wir müssen uns klar machen, dass wir nicht wie eine Dampfwalze mit unserem System überall durchrauschen können, und dass wir die letztgültige Lösung keineswegs gefunden haben“, betont Khuon. „Bezeichnend fand ich zum Beispiel, dass während der US-Fernsehberichte immer wieder die aktuellen Börsenkurse eingeblendet wurden.“
Symptom einer arroganten Verblendung, Marke West? „Jedenfalls eine bedenkliche Perspektive, die von erheblich verschobenen Werten zeugt. Eine Tendenz, die sich auch darin offenbart, dass wir jetzt selbstverständlich voller Mitgefühl mit den amerikanischen Opfern sind. Als in Jugoslawien aber „versehentlich“ Flüchtlingstrecks beschossen wurden, wurde gesagt, naja, das sei halt der Preis... Und auch die ja nicht immer gewaltfreien Eingriffe der CIA in Bürgerkriege werden im Westen ja ganz anders bewertet. Da heißt es dann lapidar, man muss sich auch mal die Hände schmutzig machen beim Kampf für die neue Weltordnung.
Und auch die Vergeltungssehnsucht, die jetzt die USA dominiert, ist Symptom einer elementaren Anfälligkeit der Zivilisation: Denn wir haben zwar jede Menge errungen im Westen, unter anderem den zivilisierten Umgang mit Konflikten. In Situationen wie der jetzigen werden dann aber Rachegedanken laut, deren archaischer Tenor dem der Terroristen in nichts nachsteht. Die Zivilisation ist ein ganz dünnes Mäntelchen, das sich die Gesellschaft umgehängt hat.“ Ein Schutzschild, der auch durch das derzeit propagierte Bild des Menschen, der sich vorwiegend durch Ich-Stärke definiert, nicht stabiler wird.
Welche Alternativen kann also ein Theaterbetrieb bieten, um in andere Richtungen zu zeigen? „Ziel kann nur sein, sich ständig um eine nichtarrogante Perspektive auf das Unverstandene zu bemühen und Stammtischsprüchen entgegenzuwirken. Respekt vor anderen Kulturen zu entwickeln – obwohl ich selbst zugeben muss, dass es etwa bei den Taliban schon schwer fällt zu sagen, jetzt fangen wir mal an mit dem Respekt.“ Und handlungsunfähig werden solle natürlich auch niemand. „Aber das Ziel kann nur sein, Stärke und Autorität mit Sensibilität und Geduld zu verbinden und nicht Langsamkeit mit Schwäche gleichzusetzen. Sich ein 'Time out' zu geben, auch nach diesem Attentat, und es langsam an sich herankommen zu lassen, anstatt nach schnellen Lösungen zu schreien.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen