: Urige Dirigierkünste
■ Der amerikanische Dirigent und Komponist Earl Brown war zu Gast beim voraussichtlich letzten Bremer Podium
Das vergangene „Bremer Podium“ endete nicht nur mit Ovationen, es begann auch damit. Das Publikum dankte dem am Montag abend im Sendesaal von Radio Bremen anwesenden Hans Otte: er hatte 1959 die Festivals „Pro Musica Nova“ und „Pro Musica Antiqua“ gegründet und zu einer allerersten musikalischen Adresse gemacht. Nun stehen die Festivals zur Disposition, es heißt, der Intendant von Radio Bremen, Heinz Glässgen, suche nach Sponsoren. Geld für etwas Totgesagtes zu suchen: da kann man sich leicht vorstellen, mit welchem inneren Engagement er das tut.
Und auch das „Bremer Podium“, von Hans Ottes Nachfolger Rolf Schäfer 1979 ins Leben gerufen, wird es natürlich nicht mehr geben. Ebenfalls ein herber Verlust, der das Image von Bremen im Kern berührt: die Vorbereitungen für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt laufen!Nun also das 49. Podium, das letzte. Unendlich wertvoll sind die Eindrücke, die das Pubikum in 22 Jahren dieser Präsentationsform gewinnen konnte: Nach einer Gesprächsrunde mit den KomponistInnen gab es stets ein Konzert, dessen Gütesiegel ohne Ausnahme erstrangige Interpretationen waren. Alle Großen waren hier, von György Ligeti bis Wolfgang Rihm, von Mathias Spahlinger bis Helmut Lachenmann, auch Younghi Pagh-Paan – die spätere Professorin für Komposition an der Hochschule für Künste in Bremen – hatte sich hier zum ersten Mal in Bremen vorgestellt.
Earle Brown war da, mit 76 Jahren einer der letzten großen Amerikaner aus dem Kreis um John Cage, David Tudor, Morton Feldman und Christian Wolf, der legendären „New York School“. Unter seiner originellen Leitung erklangen „Tracking Pierrot“: Zu der originalen und berühmen Instrumentalbesetzung von Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ (Klavier, Flöte, Klarinette, Violine, Cello) nimmt Brown noch das Schlagzeug hinzu.
Die 1992 geschriebene Hommage für Schönberg, für dessen Erfindungsreichtum und instrumentale Brillanz, zeigt klarste Strukturen, ergreifende Farbflächen, lustvolle Verspieltheit und viel Ironie. Wunderbar zu sehen, wie Brown nicht mit einem Grundschlag dirigiert, sondern mit ungemein expressiven Handgesten diese ebenso spröde wie einschmeichelnde Musik leitet, so als streichele er liebevoll seine Kinder.Das andere große Ensemblestück „Dezember 52“ aus „Folio“ provozierte noch mehr Browns urige Dirigierkünste, da es sich um eine grafische Partitur handelt. 1952, zur Zeit des in Europa dogmatisch praktizierten Serialismus, schreibt Brown eine explosive Klangmusik, in der Komik, Ironie und Spielfreude viel Platz haben.
Dieser Gestus prägte auch „Coroboree“ für drei Klaviere, 1964 von Hans Otte für die „Pro Musica Nova“ in Aufrag gegeben und nun wieder aufgeführt. Den drei PianistInnen gelang es , die ganze Power und Klangfreude eines „nächtlichen Festes mit Liedern und symbolischen Tänzen der australischen Aborigines“ zu mobilisieren. Ein dickes Lob den fabelhaften SolistInnen der „MusikFabrik“ Düsseldorf und an dieser Stelle vorerst einmal ein Dank an alle, die seit 22 Jahren das „Bremer Podium“ möglich gemacht haben.
Ute Schalz-Laurenze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen