: „Muslime stehen leicht unter Generalverdacht“
Mehmet Erbakan, Vorsitzender von Milli Görüs, der größten islamistischen Gruppe in Deutschland, über ein „Sicherheitsbündnis“ mit dem Staat
taz: Herr Erbakan, Sie haben ein „Bündnis für Sicherheit zwischen Muslimen in Deutschland und dem Staat“ gefordert. Wie soll das aussehen?
Mehmet Erbakan: Dieses Bündnis soll dazu dienen, die großen Versäumnisse der letzten zwanzig Jahre bei der Integration von Muslimen zu überbrücken, die leider dazu geführt haben, dass Muslime sehr leicht unter den Generalverdacht kommen, etwas mit Terroristen zu tun zu haben. Ich schlage vor, dass der Bundesinnenminister relevante muslimische Organisationen versammelt und dann eine Vereinbarung geschlossen wird, bei allen Belangen, die die Sicherheit betreffen, zusammenzuarbeiten. Insbesondere dann, wenn US-amerikanische Gegenschläge gegen ein muslimisches Land geführt werden, braucht man ein solches Bündnis, in dem sich die großen muslimischen Verbände verpflichten, alle ihre Möglichkeiten zu nutzen, um Muslime zur Besonnenheit zu bewegen. Außerdem könnte der Staat umgekehrt konkret aufzeigen, was er tun will, um endlich Muslime gesellschaftlich mit den anderen Religionsgemeinschaften gleichzustellen. Das wäre die Grundlage eines solchen Bündnisses.
Ihre Organisation wird vom Bundesinnenministerium als islamistisch und verfassungsfeindlich eingestuft. Als Bestandteil Ihres „Bündnissses für Sicherheit“ fordern Sie von staatlicher Seite den „Verzicht auf die Illegalisierung nicht gewalttätiger Muslime“. Ist Ihr Vorschlag nicht nur der Versuch, einem nach der Abschaffung des Religionsprivilegs möglichen Verbot von Milli Görüs vorzubeugen?
Nein, denn ein Verbot von Milli Görüs wäre in keiner Weise gerechtfertigt. Alles, was gegen uns zum Beispiel im Verfassungsschutzbericht vorgebracht wird, stammt aus Interpretationen einiger missliebiger Äußerungen – und selbst die sind nicht dazu angetan, irgendeine Verfassungsfeindlichkeit zu belegen. Meine Gemeinschaft hat sich nie gegen irgendeinen Inhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gewandt. Ganz im Gegenteil: Wir haben für die Türkei und für viele andere Länder genau diese freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie wir sie in Deutschland vorfinden, gefordert.
Sie sagen, es würde nicht ausreichend zwischen frommen und gewalttätigen Muslimen unterschieden. Gibt es Ihnen nicht zu denken, wenn beispielsweise Mohammed Atta, einer der mutmaßlichen Attentäter, während seiner Hamburger Zeit regelmäßig in eine Millli-Görüs-Moschee zum Beten kam?
Ich weiß nicht, ob er eine unserer Moscheen besucht hat. Jeden Freitag besuchen 300.000 Leute unsere Moscheen. Das sind öffentliche Einrichtungen. Wahrscheinlich ist er in alle möglichen Moscheen zum Beten gegangen. Milli Görüs ist eine Organisation von eingewanderten Türken, die hier als Arbeiter leben. Unser Hintergrund ist ein traditionell sunnitisch-türkischer. Der ist von der Struktur her überhaupt nicht angelegt darauf, mit irgendwelchen Erscheinungen in der arabischen Welt in Kontakt zu sein oder zu kommen. Mein Verständnis von Religiösität ist vor allem ein tiefes Verständnis von Pazifismus – gerade auch aufgrund der islamischen Lehre.
Was sollte aus Ihrer Sicht gegen einen politischen Islamismus, der auch vor Terrorakten wie denen in den USA nicht zurückschreckt, unternommen werden?
Man muss die Wahrnehmung umkehren und auf den Terror legen. Da gibt es Menschen, die Straf- und Gewalttaten verüben und sich aus ihrem persönlichen kulturellen Hintergrund die Rechtfertigung holen. Es gibt in der Psychiatrie auch den religiösen Wahn als eine Krankheitsform. INTERVIEW: PASCAL BEUCKER
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