„Was haben die Leute von Musik zu erwarten?“

■ Mehr als von Text – zumindest bei der „Hommage à Schönberg“. Denn Sprecher HK Gruber nervte durch operettenhaften Pathos, während sich Peter Stein für seinen Part erst gar nicht zu interessieren schien

Für die Mitglieder des 1989 gegründeten Arnold-Quartettes aus Bremen steht fest, „dass in Sachen Arnold Schönberg noch nicht alles gesagt ist“. Wie recht sie damit haben, bewiesen Jörg Assmann, Gunter Schwiddesen, Boris Faust und Stephan Schrader auf das beste im Konzert des Musikfestes.

Dabei war es nicht ganz einfach, über die wieder einmal unguten Umstände der Oberen Rathaushalle hinwegzuhören und zu sehen. Die Akustik trägt nicht richtig, trotz erhöhtem Podium ist man ab der zehnten Reihe sozusagen vom Geschehen abgeschnitten. Und es wäre nicht ganz unwichtig gewesen, wenigstens die Möglichkeit zu haben, den Text auch im Programmheft zu verfolgen: nichts da, da wurde Licht ausgemacht.

Das aufschlussreiche Programm hätte es nicht nötig gehabt, durch Texte aufgemotzt zu werden, umso mehr, als weder Peter Stein noch Jutta Lampe interessiert zu sein schienen an dem, was sie da völlig aufgesetzt und routiniert lasen: „Mein Publikum“ und „Was haben die Leute von Musik zu erwarten“ von Schönberg. Besser, aber trotzdem schwer vermittelbar, der absurd-ironische Dialogtext „Totentanz der Prinzipien“ aus dem Jahr 1915, in dem Schönberg sich darüber lustig macht, in der Ästhetik Prinzipien zu haben. Für alles hätte als Anschauungsmaterial die Musik selbst gereicht, denn das Programm zeigte Schönbergs langen schwierigen Weg von einer noch recht satten Spätromantik zum politisch engagierten Komponisten, der die Reihentechnik erfunden hatte.

Das erste Streichquartett in d-Moll op. 7 aus dem Jahr 1907 fasst vier Sätze in einen zusammen: von einer fast überladenen Entwicklung permanenter, stets vermittelnder Variation gestalteten die Arnolds mit einer immensen geistigen und handwerklichen Kräftedisposition diesen dreiviertelstündigen Abschluss von Schönbergs tonaler Epoche. Die atemberaubenden Klangfelder, die im zweiten Teil entstanden, waren fast entmaterialisiert: fast wie eine Trauer, was nicht mehr ist und eine Vision, was sein könnte. Was nicht zu seiner Vision gehörte und bittere Realität wurde: die Diktatur in Europa. 1941 suchte Schönberg im Exil in Amerika nach einem Text über Tyrannei und fand ihn in Lord Byrons bös-ironischer „Ode an Napoleon Buonaparte“.

Der Text wird ähnlich dem von Schönberg neu erfundenen Sprechgesang im „Pierrot Lunaire“ rezitiert. Das operettenhafte Pathos ständiger Überdrehtheit allerdings, mit der HK Gruber uns diesen Part rhythmisch reichlich ungenau in Esperanto-Englisch – umso mehr hätte man das mitlesen müssen – anbot, kann damit nicht gemeint gewesen sein. Bleibt der Instrumentalpart: Auch hier überzeugten die Arnolds zusammen mit dem kraftvoll und inspirierend spielen Pianisten Ulrich R. Murtfeld restlos.

Das selten gespielte Werk ist eins der großartigen Beispiele, wie expressiv Musik sein kann, der das Konstruktionsprinzip der Reihe zugrunde liegt: Gleich der Anfangseinfall mit seinem katastrophischen Fortissimotriller ist unvergesslich und die Basis für den unwiderstehtlichen Sog des Stückes.

Ute Schalz-Laurenze