: Einpacken? Zwei Mark. Danke.
Wir müssen einen Dialog der Kulturen starten. Sofort! Am besten gleich am Imbissstand
Sensation! Ich ging mal zur Schule mit einer, die jetzt an der Technischen Universität in Hamburg-Harburg arbeitet! Und es kommt noch besser: Sie arbeitet in der Fachabteilung Elektrotechnik. Volltreffer. Kannte sie die mutmaßlichen Flugzeugentführer? Wie waren die? Verhielten die sich seltsam? Wurde laut gebetet? Studieren in Hamburg-Harburg etwa noch mehr Feinde der zivilisierten Welt?
Das sind Fragen, die ich ihr natürlich sofort stellen müsste. Und ihre Antworten sollten am besten möglichst detailliert ausfallen, damit auch nicht die geringste Information verloren geht über: Thema der Diplomarbeit einschließlich Vorwort (eine Sure?), Farbe der Pluderhosen (die sie zweifellos getragen haben), Farbe des Teppichs im uni-eigenen islamischen Gebetsraum sowie möglicherweise schon vor Monaten aufflackernde irre Blitze in den Augen der muslimischen Kommilitonen. Nicht zu vergessen die miese Stimmung am Campus, jetzt, nach den Anschlägen.
Ich werde meine Freundin nicht anrufen und danach fragen. Denn was sollte sie mir schon sagen? Die Pluderhosen schwarz, der Teppich grün, die Blicke tatsächlich verdächtig irr? So etwas wissen zu wollen, ist völlig unsinnig. Es bringt nichts.
Um die Ecke gibt es einen kleinen Stand, an dem Pizza verkauft wird. Sie liegt kalt auf einem Blech hinter einer Glasscheibe und wird von einem dunkelhäutigen Angestellten wohl arabischer Herkunft für den Kunden in einen kleinen Ofen geschoben. Zwei Minuten dauert es, dann ist die Pizza heiß. Zwei Minuten sind ganz schön lang.
– Ein Stückchen Pizza bitte.
– Ja.
Er schiebt ein Stückchen Pizza in den Ofen. Was hat der wohl gedacht, am Dienstag vergangener Woche, als er von den Anschlägen hörte? Hat er gejubelt wie – was man so hört – so viele andere Moslems? Ist das überhaupt ein Moslem? Er dreht sich um und schaut mich an. Weiß er, was ich denke? Was, denkt er, denke ich? Was denke ich da überhaupt?
– Pepperoni?
– Keine Pepperoni, danke.
Er schaut mich an, als wolle er noch etwas sagen. Vielleicht will er sagen: „Nur falls Sie sich das gerade fragen sollten: Ich bin Moslem, ich mag die amerikanische Politik nicht, aber ich verurteile die grausamen Anschläge von New York und Washington aufs Schärfste und bedauere zutiefst die dabei ums Leben gekommenen Menschen und ihre Angehörigen.“ Vielleicht will er gar nichts sagen. Vielleicht sollte ich ihm erzählen, dass ich die amerikanische Politik auch nicht mag, immer weniger. Und dass ich die amerikanische Nationalhymne in den letzten Tagen entschieden zu oft hören musste. Aber dass auch ich die grausamen Anschläge von New York und Washington auf das Schärfste verurteile und die dabei ums Leben gekommenen Menschen und ihre Angehörigen zutiefst bedauere. Vielleicht könnten wir uns sogar darauf einigen, dass wir alle Menschen bedauern, die gewaltsam zu Tode kommen. Und auf dieser Basis könnte ich ihm anschließend beichten, dass ich früher mit höchstem Vergnügen unter Verwendung des Microsoft Flight Simulators Flugzeuge am World Trade Center habe zerschellen lassen. Er schaut. Er trommelt mit den Fingern auf der Theke. Wir müssen sofort einen Dialog der Kulturen starten. Das ist das Einzige, was uns jetzt noch retten kann. Der Ofen macht „Ping!“.
– Einpacken?
– Nein, danke.
– Macht zwei Mark.
– Bitte.
– Danke.Tschüss.
– Tschüss.
Die Pizza schmeckt noch seltsamer als sonst.
Am Abend ruft meine Hamburger Freundin an, zufällig. Sie kannte die Attentäter nicht persönlich. Aber ein anderer ihrer Studenten moslemischen Glaubens ist verschwunden, just in dem Sommer, als auch jene verschwanden, die wohl verantwortlich sind für die Anschläge in Amerika. Eine Nacht lang hat sie sich im Bett gewälzt, dann hat sie seinen Namen der Uni-Leitung gemeldet: „Wenn er nichts damit zu tun hat, schadet ihm das nichts. Und wenn er auch einer von denen ist, und es passiert wieder etwas, dann könnte ich es mir nie verzeihen, dass mir etwas aufgefallen ist, und ich habe es nicht gemeldet.“ Es ist ihr nicht wohl dabei. Sie will nicht misstrauisch sein ihren eigenen Studenten gegenüber.
„Der Pizzahändler?“, fragt Arno. „Der war schon immer komisch. Außerdem ist er Grieche.“
STEFAN KUZMANY
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