Untersuchungen auf Herz und Leber

Der Erzähler und der Detektiv, beim österreichischen Schriftsteller Wolf Haas bilden diese beiden Romaninstanzen ein ungleiches Paar. Schwatzhaft, sprunghaft, gönnerhaft der eine – nicht der Schnellste, bedächtig der andere. In „Wie die Tiere“, dem neuen Buch, begleiten sie sich zum fünften Mal

Der Plot liefert ausreichend Stofffür Monströsitäten. Das soll genügen. Das Eigentliche liegt woanders.

von CRISTINA NORD

Simon Brenner ist müde. Der Detektiv hat den Gipfel seiner Karriere überschritten, das Resümee will nicht überzeugen: „neunzehn Jahre Polizei gewesen, dann die Detektivjahre auch nicht so, dass man sagen muss, glanzvoller geht es nicht, und dann hat er zufällig einmal im Innsbrucker SoHo, Souvenir Hollinger, wo er einen guten Posten als Kaufhausdetektiv gehabt hat, einen Gesprächsfetzen aufgefangen. Frühpension.“

Er braucht dann noch eine Weile, bis er weiß, warum ihm dieses Wort, „dieser Ohrwurm“ nicht mehr aus dem Kopf gehen. Denn Simon Brenner ist ein langsamer Mensch.

Dagegen ist nichts einzuwenden, findet der Erzähler, den der österreichische Autor Wolf Haas in seinem kürzlich erschienenen Kriminalroman „Wie die Tiere“ dem Protagonisten Brenner zur Seite stellt. Ein schwatzhaftes Wesen ist dieser Erzähler, ein ganz anderes Temperament als der Detektiv, eben einer, der sein Maul nicht weit genug aufreißen kann und dabei große Töne spuckt, machmal zu große.

Gönnerhaft legt er die Hand über den Helden, wenn der mal wieder (und das kommt ziemlich häufig vor) nicht der Schnellste ist: „Da muss ich den Brenner in Schutz nehmen, weil das gilt meilenweit, bei den anderen Leuten groß ahnen, aber bei sich selber, da ist der Mensch vernagelt.“

Der Erzähler und der Brenner sind ein Paar, seit Haas vor fünf Jahren sein Debüt vorlegte, „Auferstehung der Toten“. In „Wie die Tiere“ begleiten die beiden einander zum fünften Mal.

Schauplatz des Romans ist Wien. Dorthin verschlägt es den Detektiv, weil er glaubt, dass seinem Ansuchen um die Frühpensionierung in der Hauptstadt eher entsprochen würde als in der Provinz. Zu seinem Unglück liegen die Dinge nicht ganz so einfach. Die Amtsärztin will ihm keine Ruhe geben, und dann ist da noch ein zunächst simpel scheinender Fall, der sich bald als verworren entpuppt.

Es geht um Kampfhunde und Stecknadeln, die in Hundekuchen eingearbeitet sind, um besorgte Eltern und nicht minder besorgte Tierschützer, um eine Erbschaft und ein verkanntes Talent. Doch bis die Dinge sich fügen, vergeht seine Zeit.

Jedes Mal, wenn Simon Brenner spürt, „wie sich aus weiter Ferne ein Gedanke nähert, wo er in der nächsten Sekunde zwei und zwei zusammenzählen und alles lösen wird“, fährt etwas dazwischen. „Da ist ihm der Gedanke, den er fast gehabt hätte, natürlich wieder hinuntergefallen.“

Das macht nichts, denn in Wolf Haas’ Kriminalromanen ist es entbehrlich, dass der Detektiv die Aufklärung und damit die Handlung vorantreibt. Das Szenario, das „Wie die Tiere“ entfaltet, bietet ausreichend Stoff für Monströsitäten. Das soll genügen, der Plot lässt sich darüber vernachlässigen. Das Eigentliche und vor allem auch Eigenwillige liegt bei diesem Autor, der sich inzwischen einen eingeschworenen Fankreis erschrieben hat, woanders.

Wichtiger ist Haas die Sprache, die sich – zumal für das Genre, in dem der Autor sie etabliert hat – durch eine ganz eigene Klangfarbe auszeichnet. Dass dies so ist, verdankt sich in erster Linie dem Erzähler, der bei aller Schwatzhaftigkeit eben auch sehr ökonomisch vorgeht, insofern er das Entscheidende gerne unausgesprochen lässt.

Sätze bläst er umgangssprachlich auf und fährt sie dann wieder auf das Nötigste herunter; Artikel spart er aus, auf Verben wird verzichtet: „Jetzt, warum Amtsarzt?“, heißt es dann, und an anderer Stelle, über eine Nebenfigur: „Beruf natürlich Journalistin“ oder „Weil nett schon, aber resolut, frage nicht“.

Das liest sich oft, als wär’s gesprochen, zumal sich der Erzähler dem Leser mit einem vertraulichen „Du“ an den Hals wirft und der Text mit Austriazismen nicht geizt. Eine durchaus ansprechende Mischung aus Ausschweifung und Knappheit entsteht so, flankiert von einer Lust am Gegensätzlichen, am Widersinn.

Wenn Brenner zur Amtsärztin geht, begnügt sich der Erzähler nicht damit, dies zu vermelden. Stattdessen liest man: „Normalerweise ist ein Detektiv ein Mensch, der eine Sache gründlich untersucht. Jetzt war es beim Brenner wieder einmal umgekehrt, und statt dass er untersucht hätte, ist er untersucht worden. Herz, Leber, Niere, Galle, Bewegungsapparat.“

Gegensätze kommen also in diesen Krimis sehr schön zusammen, und das macht ihren ganz eigenen Reiz aus. Als Wolf Haas einmal von seinem Kollegen, dem Schriftsteller Robert Menasse, zu einer Lesung samt Gespräch ins Literarische Colloquium Berlin eingeladen wurde, betonte Menasse, dass der knappe, antithetische Name, der Haas’ narratologisches Credo in sich trage, kein Pseudonym sei.

Wenn es doch eines wäre, hat Menasse dann noch hinzugefügt, hätte Wolf Haas es mit Bedacht gewählt.

Wolf Haas: „Wie die Tiere“. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001, 224 Seiten, 34,90 DM