: Totgesagte mailen länger
Unglaublich: Es gibt tatsächlich noch Menschen, die Lacoste-Artikel tragen wollen
Nichts ist mehr, wie es vor den schrecklichen Anschlägen auf das World Trade Center war? Die Menschen starren mit schreckgeweiteten Augen nach Amerika und sind sprachlos vor Entsetzen? Pustekuchen! Es gibt tatsächlich noch Menschen, die von all den furchtbaren Ereignissen noch gar nichts mitbekommen haben oder die schlimmen Meldungen einfach ignorieren und stattdessen harmlose Bürgerinnen mit blöden E-Mails bombadieren. Mich zum Beispiel.
Tobias K. beispielsweise mailte mir: „Guten Tag. Ist es irgendwie möglich, die klassische Lacoste-Mütze zu bestellen, weil diese hier in der Schweiz total ausverkauft ist?“ Tobias K. war vorerst der Einzige,der im Auftrag „Lacoste“ unterwegs war und eine Antwort von mir bekam: „Klar, überweisen Sie das Geld auf mein Konto!“
An dieser Stelle wird es notwendig zu erwähnen, dass ich bei der Einrichtung meiner gmx-Adresse eine „total witzige Idee“ hatte: Lustig, so dachte ich mir, lustig wäre es, wenn ich den Anfangsbuchstaben meines Namens, also „co“ und „ste“ ein elegantes „la“ voranstellen und mich damit selbst hervorheben, gleichwohl adeln würde. La Corinna Stegemann – toll! Dass meine neue E-Mail-Adresse la.co.ste@gmx.de eine entfernte Ähnlichkeit mit der weltberühmten Krokodilfabrik aufwies, nahm ich nur zu gern und billigend in Kauf. Ich ahnte ja nicht . . .
„Hallo! Nach längerer Suche im Internet habe ich diese E-Mail-Adresse von Lacoste gefunden, ohne jedoch zu wissen, ob sie richtig ist. Eigentlich bin ich auf der Suche nach einem Katalog der Firma Lacoste und weiß jetzt allerdings nicht, ob ich den über diese Adresse erhalten kann. Ich würde den Empfänger bitten mir mitzuteilen, ob dies die richtige E-Mail Adresse ist bzw. wenn dies nicht der Fall ist, mir eventuell mit der richtigen Adresse weiter zu helfen. Vielen Dank schon im Voraus dafür . . . Sollte dies wirklich die richtige Adresse sein, so würde ich mich sehr freuen, wenn es möglich wäre, mir einen aktuellen Katalog zu schicken. Dies könnte dann bitte an folgende Adresse erfolgen.“ Es folgte die Adresse von Sandra B. in Rothenburg.
Haben diese Menschen in diesen schweren Zeiten denn keine anderen Sorgen und Gedanken? Nein, haben sie nicht! Herr Karl-Werner K. ist jedenfalls so um seinen Brillenschmuck besorgt, dass er sich unter dem Betreff „Ersatzteile für Brillen“ gleich zweimal Hilfe suchend an mich wandte: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe mir im April 1996 eine Brille gekauft (Modell 57018? oder 57 18?, goldfarbenes Gestell), bei der ich nun am linken Federbügel das Krokodil verloren habe. Meine Frage: Kann man das Krokodil als Ersatz bei Ihnen bekommen, und wie teuer wäre das? Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir unter meiner E-Mail-Adresse antworten würden. Im Voraus vielen Dank. Freundliche Grüße, Karl-Werner K.“ Herrn K.s E-Mail-Adresse entnehme ich, dass er für die Bayer AG tätig ist, und sofort ist mir klar: Selbst wenn ich ein Krokodil besäße – niemals würde ich es Herrn K. anvertrauen, denn er würde es vergiften und dabei höhnisch „Was lacostet die Welt?“ brüllen.
Weniger der Ärger über unerwünschte Post macht sich nach und nach in mir breit als vielmehr die grenzenlose Verblüffung darüber, dass die längst ausgestorben geglaubte Spezies „Menschen, die sich nach Lacoste-Artikeln sehnen“ nicht nur in der Bayer AG, in Rothenburg und in der Schweiz weiter existiert, sondern auch in Hamburg, Wien, Berlin und woher die Anfragen, Hilferufe, Reklamationen und Bestellungen noch alle kommen, die ich jetzt zu bearbeiten habe. So war es vor den Anschlägen, und so bleibt es auch danach.
CORINNA STEGEMANN
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