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Abwackeln der Kirmesboxer

Taktik? Lust am Risiko? Kluge Einwechslungen? Vornehmlich Luis Enriques Mischung aus Genie und Schlamperei entscheidet die Champions-League-Partie Bayer Leverkusen gegen FC Barcelona mit 2:1

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Doch, es hat was, mal wieder bei Bayer vorbei zu schauen. Nicht mehr dieser unwürdige Zwiespalt der gequälten Fans zwischen Zuneigung zum eigenen Team und den Aggressionen gegen den kleinen Trainer, der das teure Team noch im Frühjahr fast aus den europäischen Wettbewerben gecoacht hätte. Es hat auch was, nach dem 2:1 gegen den FC Barcelona Bayers leicht groteske Situation zu betrachten: Eben noch durch die Qualifikationsrunde gegen Belgrad knapp am Losercup Uefa-Pokal vorbeigeschrammt, spielen sie jetzt halt in der Vorrunde der großen Geldvermehrungsliga, haben da sechs Punkte und so den dritten Platz fast sicher, der die weitere Teilnahme am Uefa-Cup sichert. Der Jubel war groß. Doch Schluss mit der närrischen Realität.

An diesem Abend war es gegen Barcelona gegangen. Ja, den großen FC Barcelona in den neuen majestätisch glänzenden Goldtrikots: Leverkusens Spieler gaben vorab die üblich ehrfürchtigen Interviews. Coach Klaus Toppmöller berichtete, dass er schon als Kind Fan der Katalanen gewesen sei. Sagte aber auch: „Wir wollen uns keine Autogramme holen, sondern sie schlagen.“ Als das geschehen war, luchste er Patrick Kluivert dessen Goldhemd ab, allerdings nicht im Tausch gegen seinen grauen Anzug, sondern als Souvenir für den Sohnemann, der, natürlich, Barcelona-Fan sei. Toppmöller hatte locker reden. Ein Trikot hatte er erbeutet – und alles richtig gemacht, jedenfalls spät, nachdem er vorher vieles falsch gemacht hatte.

Zum Beispiel Zoltan Sebescen spielen lassen. Der hatte gegen den flinken Geovanni ähnlich erbärmliche 45 Minuten wie bei seinem 45-minütigen Nationaleinsatz einst in Amsterdam. Toppmöller wusste, „die Südländer haben einen Spieltrieb“. Seine Leute hatten keinen Triebstopper gegen die Goldkicker mit der goldenen Vergangenheit.

Die Night of the proms war mehr eine Nacht der Jugend. In Barcas Startelf waren sechs Leute unter 23, und dabei saß der viel gerühmte Argentinier Saviola (19) noch auf der Bank. 45 Minuten lang hatte Barcelona (ohne Rivaldo, Overmars, Reizinger, de Boer und Abelardo) mit feinem Fußball brilliert, die Zweitelf kannte den schmalen Grad zwischen Leichtigkeit, die nie zu Lässigkeit wurde. So hatten sie geführt durch ein fantastisches Tor von Luis Enrique, der den ungelenken Jens Nowotny so ausgetanzt hatte, dass sich Toppmöller nachher wunderte, wie sich so ein erfahrener Mann derart „abwackeln lassen konnte“.

Toppmöller stellte die Abwehr um auf Risiko und somit eins gegen eins („der Schuss“, lobte er sich selbst, „hätte auch nach hinten losgehen können“), wechselte den überraschenden Bankdrücker Yildiray Bastürk ein, der umgehend selbst Gegner reihenweise abwackelte und trickste und passte und schnell per überraschendem Schuss aus dem Stand den Ausgleich erzielte (52.). Jetzt war es das geworden, was deutsche Elfen mögen: ein Kampfspiel.

Und dennoch brauchte Bayer den Spanier Luis Enrique. Der Künstler des Führungstreffers versuchte in Minute 70 einen ähnlich geschmeidigen Tanz im Mittelfeld, allerdings nicht nach hinten abgesichert, nicht gegen Nowotny, sondern gegen die riesenfüßige brasilianische Kampfsau Lucio. Der grätschte ihn ab, den Abpraller ließ Schneider umgehend per Sekundenkonter in den Strafraum segeln, wo Oliver Neuville eindrückte (69.).

Luis Enrique wusste gar nicht wohin mit seinem Unglück, er wedelte mit den Armen herum, wollte sich an den Kopf fassen, ließ die Arme sinken, ruderte, haderte, schimpfte auf sich, stampfte auf den Boden. Außer einem Frustfoul war danach nichts mehr von ihm zu sehen. Nach dem 2:1 wusste Barcelona, auch nicht der eingewechselte Saviola, „keine Antwort mehr“ (Bernd Schuster, Ex beider Teams), weil Bayer nicht sein Tor, sondern schon die weiten Räume davor souverän verteidigte.

Auch Barcelonas Patrik Andersson änderte daran nichts mehr. Der Schwede, der im Mai mit seiner letzten Ballberührung in der Bundesliga die Meisterschaft entschieden und sich direkt nach dieser Schandtat zu Barca geflüchtet hatte, hielt zwar meist klug die Abwehr zusammen, einmal aber auch Michael Ballack am Trikot fest (den Elfmeter schob Bayer-Keeper Butt neben das Tor /29.). Andersson war, völlig unverständlich, auch in der Nachspielzeit hinten geblieben. Zur Strafe musste er mit der glitzernden Fliegerseide aus der Nähmaschine eines Unmenschen vor die Kamera.

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