Türkei spielt ein bisschen Europa

Türkisches Parlament beginnt mit Abstimmung über Verfassungsänderungen, darunter die Teilabschaffung der Todesstrafe. Gleichzeitig wirbt der türkische Außenminister in Washington um Unterstützung bei Ankaras Annäherung an die EU

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Das Parlament der Türkei hat mit Blick auf die EU in dieser Woche begonnen, ein Paket von 37 Verfassungsänderungen zu diskutieren und abzustimmen. Am Mittwochabend votierte eine große Mehrheit für die Abschaffung der Todesstrafe – allerdings mit einer entscheidenden Einschränkung: Terroristische Täter sollen nach wie vor mit dem Tod bestraft werden können.

Abgesehen davon, dass die Reform damit das Ziel einer prinzipiellen Ächtung der Todesstrafe verfehlt, wird die Entscheidung wohl zu einer Diskussion um die Definition von Terrorismus führen müssen. Nach offizieller türkischer Lesart ist die „Kurdische Arbeiterpartei“ (PKK) eine terroristische Organisation. Immer wieder wird deshalb jetzt darüber geklagt, dass etliche europäische Länder die Türkei im Kampf gegen den „PKK-Terror“ nicht unterstützt hätten.

Ebenfalls auf Drängen der EU wurden in erster Lesung auch verfassungsrechtliche Hürden für kurdisches Fernsehen und Radio aufgehoben und der Schutz der Meinungsfreiheit verbessert. In der kommenden Woche wird die Schlussabstimmung erwartet. Was genau sich in der Praxis dann verändern wird, wird allerdings erst deutlich werden, wenn die Ausführungsgesetze zu den Verfassungsänderungen verabschiedet sind.

Mit diesen Beschlüssen hofft die Türkei auf US-amerikanische Unterstützung bei der Annäherung an die EU. Nach langwierigen Vorabsprachen in der regierenden Koalition in Ankara machte gestern der türkische Außenminister Ismail Cem in Washington seine Aufwartung. Cem soll erneut dafür geworben haben, dass die USA eine stärkere Beteiligung der Türkei an der Europäischen Verteidigungsinitiative unterstützen und auch der EU klar machen, dass gerade in den kommenden Konflikten die Türkei von entscheidender Bedeutung sei.

Der späte Zeitpunkt des Besuchs von Cem mehr als zwei Wochen nach den Anschlägen in den USA hängt zum einen damit zusammen, dass in Ankara erst geklärt werden musste, welche Angebote die Türkei ihren US-amerikanischen Verbündeten konkret machen kann, zum anderen aber wohl auch damit, dass es in Washington zunächst andere Prioritäten gab.

Ein mögliches Vorgehen gegen Iraks Präsidenten Saddam Hussein soll im Mittelpunkt der Gespräche von Cem und seinem US-Amtskollegen Colin Powell gestanden haben. „Für die politischen Entscheidungsträger in den USA“, so Mehmet Ali Birand von CNN-Türk, „ist es klar, dass nach Afghanistan der Irak dran ist.“

Bereits in der letzten Woche hatte Ministerpräsident Bülent Ecevit in einem CNN-Interview erklärt, falls die USA für Operationen gegen den Irak türkische Militärstützpunkte nutzen wollten, wäre Ankara einverstanden. Allerdings dürfte Ismail Cem hinter den Kulissen auf einer Bedingung für die türkische Unterstützung bestanden haben: eine Operation gegen Saddam Hussein darf nicht zur Folge haben, dass im Nordirak ein kurdischer Staat entsteht.