Von Prinzen und Schönen

Ein Besuch im „Obstgarten zur Sammlung alter Sorten“ ist interessanter als der Name es vermuten lässt  ■ Von Christina Pohl

Michael Kruse liebt Maren Nissen. Obwohl er verheiratet ist. Auch Prinz Albrecht von Preußen hat er schon mal vernascht. Und gegen einen gelegentlichen Martini ist ohnehin nichts einzuwenden. Seine Frau weiß Bescheid, hat aber keine Bedenken. Braucht sie auch nicht: Denn Maren Nissen, Prinz Albrecht von Preußen und Martini sind Äpfel. Zusammen mit 24 Birnen-, 26 Pflaumen- und 112 anderen Apfelsorten hängen sie im Obstgarten zur Sammlung alter Sorten von den Bäumen.

Deiche, Schafe und Schilf prägen das Bild. Wer von der rund zwei Hektar großen Fläche im Naturschutzgebiet Haseldorfer Marsch nichts weiß, wird sie wohl auch nicht finden. Michael Kruse tauscht vorsorglich seine Büroschuhe gegen kniehohe Gummistiefel, bevor er sich Eimer und Käscher schnappt und losstapft. Während es auf Trampelpfaden querfeldein geht, berichtet der Angestellte des Staatlichen Umweltamtes Itzehoe im Zeitraffer von den Anfängen des Obstgartens: Die Globalisierung der Märkte, das veränderte Verbraucherverhalten und die Intensivierung der Anbaumethoden hätten in den vergangenen Jahrzehnten zu einschneidenden Veränderungen im Obstbau geführt. „Mit dem Obstgarten verfolgen wir das Ziel, alte Apfel-, Birnen- und Pflaumensorten mit ihrem genetischen, ökologischen und kulinarischen Reichtum für die Nachwelt zu bewahren.“ Zu diesem Zweck wurde das Areal 1986 von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein mit standorttypischen Obstbäumen bepflanzt.

Nachdem er über das Gatter geklettert ist, das die unter den Bäumen fressenden Schafe am Ausbüxen hindern soll, ist Kruse in seinem Element. Mit leuchtenden Augen schwärmt er von dem sich ihm bietenden Anblick: „Diese Farben, diese Formenvielfalt.“ Zielsicher strebt er auf die ersten Bäume zu und beginnt die Geschichten der jeweilgen Äpfel zu erzählen. Vom Altländer Pfannkuchen über das Juwel von Kirchwerder bis zum Schönen aus Haseldorf – zu jedem der klangvollen Namen kennt Kruse eine Anekdote.

Da ist zum Beispiel der Purpurrote Cousinot, der im Jahre 1600 bekannt wurde. Die Frucht ist klein wie eine Kinderfaust. „Wegen dieser Kleinwüchsigkeit ist er nicht mehr marktgängig; er fällt bei der Auslese durch die Maschen“, sagt Kruse zum Schicksal des Äpfelchens. Dafür sei der purpurrote Cousinot aber ein klassischer Weihnachtsapfel. Erst Mitte Dezember genussreif, sei er früher in die Tannenbäume als Schmuck gehängt worden. Da ist ferner Kruses Liebling Maren Nissen, deren Äste Bräuten einst in die Aussteuer gelegt wurden. Oder der „Igitt-Apfel“ Ontario, der lange liegen muss, bevor er genießbar ist und den deshalb sogar die Schafe verschmähen. Oder der Seestermüher Zitronenapfel. Oder, oder, oder.

Naturmensch Kruse, der während des Erzählens immer wieder ins Plattdeutsch verfällt, redet weiter: Von der Odyssee des Apfels aus der Himalayaregion nach Europa, von den Anfängen des Obstanbaus im Elbvorland um 1880 durch Tagelöhner und von den kommerziellen Erwerbsobsthöfen unserer Zeit. Wer hätte geahnt, dass Äpfel, Birnen und Pflaumen so interessant sein können?

Noch ist der Haseldorfer Obstgarten nicht frei zugänglich für Besucher. Gefeit gegen Plünderungen sind die Bäume dennoch nicht. Solange der Schaden sich aber in Grenzen hält, drückt Kruse schon mal ein Auge zu. Schließlich lohne es sich nicht, die Ernte weiter zu verwerten: „Ein einziges Mal haben wir die Äpfel gepflückt und zur Mosterei gegeben. Der Aufwand war das Ergebnis nicht wert.“

Im kommenden Jahr soll der Obstgarten der Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht werden. Solange vermittelt das Umweltamt Itzehoe Führungen: Nähere Informationen unter Tel.: 048 21/66 21 40.