: Kriegszustände
Zum Ende des Filmfests: Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now Redux“ ■ Von Jan Distelmeyer
Das Zusammentreffen, fährt es einem unwillkürlich durch den Kopf, könnte schicksalhafter kaum sein. 22 Jahre nach seiner Premiere bringt Francis Ford Coppola Apocalypse Now in einer komplett neu geschnittenen Fassung in die Kinos. Der berühmteste Film über den Vietnamkrieg, selbst von einer Legende wahrer Kriegszustände während der Produktion umflort, erlebt seine Wiederaufführung, während sich USA und NATO in einem neuen Krieg wähnen. Kontrast-Programm: „America's New War“, sagt CNN – die Kino-Antwort von Apocalypse Now Redux liegt zwischen „The End“ von den Doors und Marlon Brandos letzten Worten, „The horror“.
Genauer gesagt ist die Antwort eine um 49 Minuten verlängerte Fassung der Geschichte des Captain Willard (Martin Sheen), mit der sich Joseph Conrads Herz der Finsternis in den Kriegsschauplatz Vietnam einschreibt. Eine doppelte Übertragung (deskriptiv und evokativ) jenes „Posttraumatic Stress Syndrome“, das einem Großteil der heimgekehrten Vietnamveteranen diagnostiziert wurde – Apocalypse Now reflektierte die traumatisierende Wirkung des Vietnamkriegs auf die Vereinigten Staaten ungefähr so wie ein zerbrochener Spiegel.
Die Bewegung des Films, die Reise Willards, ist zugleich eine Reise durch das Ringen nach Sinn und durch einen zutiefst US-amerikanischen Albtraum vom Vietnamkrieg. Genau darin ist sie zu komplex, um sie detailliert nachzuzeichnen, ohne nicht auch das geschriebene Wort darüber entweder selbst „unsinnig“ werden zu lassen oder eben unverhältnismäßig eindeutig.
Einfacher hat man es da mit den Unterschieden zur alten Fassung. Willards Suche nach dem abtrünnigen Colonel Kurtz (Marlon Brando), der irgendwo im Grenzbereich zwischen Vietnam und Kambodscha eine Art privates Reich samt Armee errichtet hat, ist in den groben Zügen gleich geblieben. Das neue Material aber steigert noch die Eskalation der Flussfahrt Willards und seiner Begleiter (u.a. Laurence Fishburne und John Heart), auf der Willard seinem Ziel Kurtz immer näher kommt, bis ihre Begegnung eine Spiegelung und ein Gegensatz zugleich wird. Als Willard auf Kurtz trifft, heben sie sich gegenseitig auf, gehen ineinander über, so dass Willards auftragsgemäße Ermordung von Kurtz dessen Leben oder Wirken nicht wirklich beenden kann. Ebensowenig ist Gott gestorben, als sein Tod proklamiert und beglaubigt wurde.
Tiefer noch als in der Fassung von 1979 verläuft auch der Fall von der Autorität der militärischen Führungsperson (Robert Duvall als Colonel „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen!“-Kilgore) in die Orientierungslosigkeit der kämpfenden US-Truppen. In den neuen Szenen von Apocalypse Now Redux trifft Willard immer wieder auf derangierte Truppen, die nicht den blassesten Schimmer haben, wer hier eigentlich das Kommando hat. „Who's in charge here?“ – „Ain't you?“
Eine andere wesentliche Neuerung besteht in der berühmten „Franzosen-Sequenz“: Hier trifft das Boot von Willard auf geisterhafte Vertreter der einstigen französischen Kolonialmacht, womit sich die Kritik des Films an der imperialistischen Politik der USA in Vietnam und ihrer kolonialistischen Tradition vervollständigt. Trotzdem ist diese Sequenz nicht allein der offensiven politischen Implikation wegen wichtig – gleichzeitig bildet sie in ihrer schwülen Form des Unheimlichen eine Vorstufe zu dem anschließenden Aufeinandertreffen von Willard und Kurtz. Eine unheimliche Begegnung zwischen Identität und Differenz arbeitet der nächsten vor.
„Es gibt keinen Weg,“, sagt Willard einmal über Kurtz, „seine Geschichte zu erzählen, ohne meine zu erzählen.“ Dieser Satz stimmt im übertragenen Sinne auch für das Verhältnis zwischen den USA und Apocalypse Now; der eine ist Teil und Spiegel des anderen. Aber ebensogut können auch wir mit Willards Satz von Apocalypse Now reden, und damit von seiner nun noch verstärkten Kraft, uns zum Teil dessen werden zu lassen, was er beschreibt.
Sonntag, 19 Uhr, Cinemaxx
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