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Mit schnarrendem Nachdruck

■ Roger Norrington kleidete Mahler ins historische Gewand

Mit Sir Roger Norrington lässt sich sicher kein Muster-Video für DirigierschülerInnen drehen. Eher schon ein Demoband im Sinne von Monty Pythons Ministry of Silly Walks. Seine schlaksige Gestalt mit den weit vorgestreckten Armen erheitert, wirkt liebenswert-skurril – und animiert die MusikerInnen zu absolut profilierten Klängen, vor allem bei extremer Vorbeugung des Dirigenten-Körpers. „Being british“ ist augenscheinlich eine hohe Kunst, sicher hat auch Mrs. Norrington – ihres Zeichens Choreografin – an der Podest-Performance mitgeformt.

Norrington ist alles andere als ein kleinteilig agierender Einsatzgeber. Großengestig formt er die Gesamtgestalt der Musik, lässt seine Leute auch mal frei laufen, um sie dann wieder, mit jähem Impuls, in neue Fahrwasser zu leiten.

Man spürt deutlich: Hier musiziert jemand mit seinem Orchester – dem „Orchestra of the Age of Enlightenment“ – und nach seinen Vorstellungen. Zu diesen gehört fundamental der Einsatz historischer Instrumente, der jeweiligen „period instruments“. Norringtons Spezialität besteht darin, diese „historische Aufführungspraxis“ zeitlich immer weiter auszudehnen. Also: Nicht nur Schütz auf Barockgeigen (so ähnlich begann Norringtons Mission Anfang der 60er Jahre), sondern auch die Sinfonien des 19. Jahrhunderts im (damals) zeitgemäßen Gewand.

Beim Bremer Musikfest/Glocke-Konzert kam Norrington auf diesem Weg erstmalig bei Gustav Mahler an, bei dessen „Titan“-Sinfonie. Statt schmelzender Streicher also ein spröderer, „irdischerer“ Klang, der sein kleineres Volumen mit Transparenz durchleuchtet. Am auffälligsten ist aber das historische Blech: Den Momenten existentieller Bombastik gibt es eine Extra-Portion an schneidend-schriller Heftigkeit, von schnarrendem Nachdruck. Natürlich kostet die Historizität die Bläsersignale des ersten Satzes ein gutes Stück an Sauberkeit – die „historische Klarinette“ quakte ihre Quarte recht freizügig. Sätze hingegen, die von sich aus eher nach Transparenz als nach Klangteppich gieren, gewannen durch Norringtons Lesart sehr: Etwa der erstaunliche Dritte der Mahler-Sinfonie, der einen nach Moll gezogenen „Frère-Jacque“-Kanon durch die Stimmen wandern lässt, begleitet von einer fern drohenden Pauke – bevor Klezmer- Klänge das Potpourri erweitern.

Fazit: Nicht immer hält man die technischen Errungenschaften des modernen Instrumentenbaus für überflüssig, aber amü- und interessant ist ein rehistorisierter Mahler allemal. Ihm gingen ein dramatischer Beethoven (Egmont-Ouvertüre) und ein trister Wagner (die „Wesendonck-Lieder“ mit Mezzosopran Bernarda Fink) voraus.

Norringtons Orchestra zeichnet sich übrigens nicht nur durch seine Instrumenten-Wahl, sondern auch durch den hohen Frauenanteil aus. Denn neben der Alibi-Harfenistin und der Präsenz in den Flöten sind immerhin vier von sechs Kontrabässen weiblich (und auffallend engagiert). Der ganze Trupp wird von drei Konzertmeisterinnen (!) angeführt. Auch wenn sich das Blech noch immer fest an Männerlippen drückt, dringt immerhin eine Hilfspaukerin in die Männerhochburg „Schlagwerk“ ein. Vielleicht wird Norrington auch mal als Pionier einer „emanzipierten Aufführungspraxis“ gefeiert. Henning Bleyl

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