Eine moderne Geschichte der Verletzung

■ Opernauftakt am Bremer Theater: Mozarts Zauberflöte hat viele Facetten und wenig Logik. Beides haben Regisseur und Sängern wunderbar gezeigt, gesungen und gespielt

„Also weise war der ja kein biss-chen“, meinte eine Zuhörerin erbost nach der Neuinszenierung von Wolfgang Mozarts „Die Zauberflöte“ am Goetheplatztheater. Nein, das war Sarastro wahrhaftig nicht, und damit sind wir schnell im Zentrum von Gisbert Jäkels Inszenierung, die das Publikum in Bravo- und Buhrufer teilte. Besseres kann einer Opernaufführung nicht passieren, zeigt es doch, dass die Menschen angefasst sind, so oder so. Der „weise“ Sarastro, in dessen heiligen Hallen man die Rache nicht kennt, führt ein ideologisches Schreckensregiment: er schart kritiklose Ja-Sager um sich herum, bezeichnet die, die seine Lehren nicht befolgen, nicht als Menschen, betreibt Gehirnwäsche mit Tamino und Pamina und foltert auch schon mal. Die beiden Geharnischten haben die Erleuchtung, von der sie sprechen, nicht im, sondern als Flamme auf dem Kopf, weswegen einer auch mal schnell zum Flachmann greifen muss: perfekte Mitläuferkarikaturen von Mihai Zamfir und Karsten Küsters.

Keine Logik erzwungen

Bartholomäus Driessen spielt und singt diesen aalglatten Diktator. Jäkel zieht von dieser Vorstellung aus seine Linien: Im auch von ihm gestalteten abstrakten, symbolträchtigen Bühnenbild – Farben, geometrische Formen, Licht – läuft eine moderne Geschichte der Verletzung und vor allem der Todesbereitschaft von Menschen ab. Dabei macht Regiesseur Jäkel nicht den geringsten Versuch, die ewig unlösbare Geschichte in eine Logik zu zwingen, die sie sowieso nicht hat. Und so erreichen uns Bilder, die so eindringlich sind, dass man nicht mehr auf die Idee kommt, zu fragen: wieso denn das?

Wenn zum Beispiel Pamina nach ihrer großen g-Moll-Arie in grenzenloser Einsamkeit am Boden liegt, ihr Sarastros Männerbande zuguckt und Tamino sich vor Verzweiflung die Ohren zuhält. So, wenn die Königin der Nacht bar jeglichen Machtgebarens den Zorn und die Verzweifung einer Frau, deren Kind entführt wurde, herauskatapultiert: makellos die Koloraturen von Iris Kupke. So, wenn Sarastro im kolonialistischen, gelben Anzug vom Chor mit Palmenzweigen bewedelt wird. So, wenn es Jäkel gelingt, die körperliche Vergewaltigung Paminas durch Monostatos (eine feine Charakterstudie von Ronald Naiditch) mit der geistigen durch Sarastro zu konfrontieren und diese für kaum weniger schlimm zu befinden. So, wenn die drei Damen Paminas Bild auf eine Leinwand projizieren und solcherart das Publikum in die Emotion Taminos hineinziehen. Ein starker Eindruck auch, wenn der Jubelschlusschor aus dem Off kommt, also nur noch in Sarastros Hirn stattfinde. Alle, einschließlich Pamina und Tamino haben ihn verlassen.

Papagena als Putzfrau

Es gibt auch viel verspielt-zauberhaftes aus der Welt Papagenos und Papagenas, die sich als Putzfrau heranschleicht und kurz vor ihrer Entdeckung den geheimnislos-lustigen Papageno ironisiert. Und die „vielen kleinen Kinderlein“ zieht Papagena aus ihrer Tasche: Püppchen, die mit dem Kopf wackeln. Armin Kolarczyk und Inga Schlingensiepen schufen auch sängerisch diese zauberhaft naive Gegenwelt.

Ganz fertig scheint die Inszenierung indes nicht zu sein, gerade im ersten Teil gibt es zähflüssige Dialoge, vollkommen undramaturgische Gänge und Haltungen, die keine Herkunft und kein Ziel zu haben scheinen. Aber geschenkt, bei den vielen Anregungen, die diese Inszenierung gibt. Ohnehin ist kein einziges Werk der Operngeschichte so vielschichtig – zwischen Mysterium, Volksstück und Ideendrama – und damit schwer zu interpretieren wie Mozarts vorletzte Oper, deren mythische Substanz wohl unausschöpfbar ist.

Neue viel versprechende Stimmen: Christoph Wittmann als Tamino mit einer wunderbar leichten, biegsamen Stimme, die noch an wechselnden Timbres gewinnen müsste. Marion Costa als Pamina hatte ihren stärksten Augenblick in ihrer Todesarie. Sie hat viele Nuancen parat und eine schon große Fähigkeit, das Singen an das Spielen zu binden. Kraftvolles Sängerinnengeschütz kam auch von den drei Damen: Lubana Al-Quntar, Sybille Specht und Maria Kowollik. Das Staatsorchester unter der Leitung von Günter Neuhold von seiner besten Seite: schlank, sauber artikuliert, beweglich, und mit einer bewegenden Herausarbeitung der Tonartencharaktere wie der feierlichen Es-Dur-Welt und der labilen und sensiblen g-Moll-Todeswelt. Er unterstützte und ergänzte damit äußerst anregend die Zerbrechlichkeit der Inszenierung.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen: am 3., 7. und 31. Oktober