: Verzicht auf schnelle Lesbarkeit
■ Rauschenberg-Poster im Museum für Kunst und Gewerbe
In einer in schrecklicher Stimmung durchwarteten Nacht auf einem Bahnhof änderte der Texaner 1947 seinen Vornamen: Aus Milton Ernest wurde Robert. Diese Entscheidung war ein kluger Schachzug, denn „RR“ wurde zum Markenzeichen des vielleicht bedeutendsten lebenden Künstlers der USA: Robert Rauschenberg.
Doch nicht am Kürzel „RR“ muss man die jetzt in Hamburg gezeigte Auswahl von etwa 70 Plakaten des Meisters erkennen – seit Robert Rauschenberg 1958 begann, mit Hilfe von Lösungsmitteln Zeitungs- und Illustriertenbilder in seine Combine Paintings zu übertragen, ist sein Stil unverwechselbar. Jeder Künstler entwirft irgendwann mal Plakate, aber bei Rauschenberg sind es weit über hundert. Und mit seiner komplizierten Kombination von Drucktechniken gilt er als Mitbegründer der US-amerikanischen Plakatkunst überhaupt.
Eingeleitet wird die Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe mit einem der drei Offsetdrucke aus der Arbeit Autobiographie von 1968, der aufgrund seiner hohen Auflage von 2000 Stück bereits als Poster gewertet werden kann. Hier stellt sich Rauschenberg in einem Foto aus einer seiner Tanz-Performances vor und kombiniert dies mit der Skyline von New York, trostlosen Vorstadtdächern und einer Seekarte der texanischen Küs-te. Diese Methode, Gleichzeitigkeiten in ein Bild zu fassen, bestimmt alle seine Plakatentwürfe.
Die Grenzen von Druckgrafik und Plakat sind bei Rauschenberg fließend, und so verweigern sich auch die tatsächlich werbenden Großdrucke einer eindeutigen Plakatästhetik und verzichten auf schnelle Lesbarkeit. Stattdessen setzen sie auf Handschrift und das Prinzip Collage: Das Interesse wird durch die Addition von Bildern, Dingen und Zeichen gefesselt. Der Verzicht auf einprägsame, aber vereinfachende Zeichenfindungen wirkt geradezu wie Respekt vor der Komplexität des Beworbenen. Gilt das schon bei der Eigenwerbung für eine Ausstellung, so noch stärker für ein Filmfest oder ein Gewerkschaftsjubiläum oder den UN-Weltklimagipfel.
Robert Rauschenberg ist für einen erfolgreichen Großkünstler ungewöhnlich stark sozial engagiert: Er hat mehrere gemeinnützige Organisationen gegründet und anschubfinanziert. In seinem Projekt Rauschenberg Overseas Culture Interchange probte er die Zusammenarbeit mit Künstlern in meist totalitär regierten Ländern der Welt vor 1991. So geben auch die ROCI-Plakate aus Beijing, Santiago de Chile, Moskau und Ost-Berlin eine Vorstellung vom Engagement eines Künstlers, dessen Themenwahl und Arbeitsweise nichts an Aktualität verloren haben. Hajo Schiff
Rauschenberg-Poster, Museum für Kunst und Gewerbe; bis 28. Oktober. Katalogbuch 78 Mark
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