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Warten auf den Dritten

Der deutsche Bahnrad-Vierer verpasst bei der Weltmeisterschaft in Antwerpen wegen eines taktischen Fehlers das durchaus mögliche Finale und wird mit der Bronzemedaille bestraft

aus Antwerpen SEBASTIAN MOLL

Sylvia Schenk, Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), wollte die Dinge von ihrer positiven Seite sehen. „In Jahren nach den Olympischen Spielen gibt es halt eine Delle in der Leistungskurve, das kennen wir, und das ist für einen Neubeginn auch nötig.“ Doch die Deutschen Bahnradfahrer hatten sich trotz des üblichen nacholympischen Katers bei den Weltmeisterschaften von Antwerpen mehr vorgenommen. Insbesondere der siegreiche Bahnvierer von Sydney und Sprinter Jens Fiedler, Olympiadritter im Keirin und seit Jahren eine Medaillenbank für den BDR, blieben hinter selbstgesteckten Erwartungen zurück: Fiedler verlor das Rennen um die Bronzemedaille gegen den Franzosen Florian Rousseau. Der Vierer verpasste durch einen Patzer im Halbfinale den Endlauf um die Goldmedaille.

Jens Lehmann versuchte seinen Zorn darüber unter Kontrolle zu halten. „Was heißt hier enttäuscht. Ich kann mir jetzt keine Enttäuschung leisten, in einer halben Stunde geht’s weiter“, sagte er unmittelbar nachdem der deutsche Bahnvierer die Qualifikation für den Endlauf verpasst hatte. Es blieb das kleine Finale um die Bronzemedaille – und wenigstens die wollte Lehmann mit nach Hause nehmen. Ganz konnte er seinen Frust dann aber doch nicht hinunterschlucken: „So was darf dem deutschen Vierer nicht passieren“, raunte er.

Was war denn überhaupt passiert? Auf sicherem Finalkurs hatten Lehmann, Guido Fulst, Christian Bach und Sebastian Siedler in der Zwischenrunde gegen die Niederlande bis einen Kilometer vor Schluss gelegen, als plötzlich zwischen Lehmann und Fulst und den Nachwuchsfahrern Bach und Siedler eine Lücke aufriss.

„Die haben beide gleichzeitig ,drei Mann‘ gerufen“, erzählte Lehmann. Drei Mann müssen in der Mannschaftsverfolgung ins Ziel kommen, und es ist insbesondere in Vorläufen oder Zwischenrunden üblich, dass sich ein Fahrer vorzeitig verabschiedet und seine Kräfte schont. Drei müssen es aber schon sein – und so musste einer der beiden Deutschen, die aufhören wollten, weiterfahren. Dies wiederum ist gar nicht so einfach, wenn vorne zwei Zugmaschinen von der Klasse Lehmann und Fulst mit 60 Stundenkilometern über die Bahn jagen. Selbst einen Abstand von nur zwei, drei Metern zu schließen, kann da schnell zur Sisyphosarbeit werden. Also mussten Lehmann und Fulst auf Bach warten –und verloren dabei jene Sekunde, die sie ins Finale gegen die Ukraine gebracht hätte.

Lehmann behielt vor dem Kampf um Bronze wenigstens die sportliche Räson im Auge und wahrte trotz der Ärgerlichkeit Contenance. „Ich habe kein Wort des Vorwurfs gehört“, sagte Christian Bach am Abend, nachdem das Quartett im kleinen Finale deutlich Frankreich besiegt hatte. Schwamm drüber und nach vorne schauen war die Devise.

„Vielleicht war das gut so“, fasste Sylvia Schenk das Auftreten des neuen Bahnvierers zusammen. Der Star des Olympiavierers, Robert Bartko, hatte im Anschluss an Sydney seine Karriere beendet und Daniel Becke einen Vertrag als Straßenprofi angenommen. In einem langen Selektionsverfahren hatte Bundestrainer Bernd Dittert Siedler und Bach, beide erst 23 Jahre alt, für Becke und Bartko in die Mannschaft geholt. „Das war besser für die Mannschaftsdynamik, als wenn alles glatt gegangen wäre“, glaubte Schenk. Dadurch, dass die Harmonie unter den Vieren auf eine echte Probe gestellt wurde, sei die Verantwortung von ihnen allen gefragt gewesen, meinte die BDR-Präsidentin, und das neue Quartett sei viel enger zusammengewachsen, als wenn alles rund gelaufen wäre.

Gruppendynamik hin oder her, Jens Lehmann machte den Eindruck als hätte er auf die Erfahrung auch verzichten können. „Na ja, Gold und Silber hatte ich schon, jetzt hab ich eben auch mal Bronze“, sagte er lakonisch, während er aus den Augenwinkeln die Siegfahrt der Ukrainer beobachtete. „Das hätten wir auch gekonnt“, kommentierte er die Leistung der neuen Weltmeister, die langsamer gefahren waren als Deutschland in der Runde um Platz drei. „Mit Becke und Bartko zu fahren war einfach was ganz anderes“, entfuhr es Lehmann dann noch wehmütig. „Aber die Jungen werden das schon noch lernen.“

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