Naive Friedensbewegung? Reaktionen auf den Kommentar von Eberhard Seidel
: Pauschales Plädoyer

betr.: „Viel Herz, wenig Verstand“, taz vom 26. 9. 01

Terror muss bekämpft werden, nicht nur mit den Mitteln der Ursachenforschung. Aber wie das aussehen kann, das haben Passagiere des vierten, über Pennsylvania abgestürzten Flugzeuges gezeigt. Sie haben die Situation erkannt, und sie haben gekämpft. Sie haben ihr Leben dort, wo es unumgänglich war, in den Kampf geworfen, um eine solche Katastrophe wie in New York zu verhindern. Und es ist ihnen gelungen. Zivilcourage ist gefordert, kein „Krieg gegen Unbekannt“, wie die USA und ihre Verbündeten ihn erklärt haben. Nur jemand, der sehr naiv ist und der die Entwicklung hin zu allen bisherigen Kriegen nicht studiert hat, kann glauben, dass es bei dem kommenden Krieg „nur“ um das Unschädlichmachen verbrecherischer Terroristen geht. [...]

INGER DETLEFSEN, Bremen

Sollen demnächst Ausbildungszentren der Rechten von Bundeswehr-Tornados umgepflügt werden, die GSG-9 Horst Mahler, den NPD-Rechtsvertreter beim Verbotsverfahren vor dem BVG, „neutralisieren“? Selbst zu RAF-Zeiten forderte kein verantwortlicher Politiker oder Militär ein Bombardement vermutlicher RAF-Aufenthaltsorte. Warum? Weil es unverhältnismäßig gewesen wäre, weil womöglich Unbeteiligte getroffen worden wären, weil der Staat mit der Verhängung der Todesstrafe seine Zivilität opfert und sich auf die gleiche Ebene wie die Terroristen begeben hätte. Gilt diese Wahrheit heute nicht mehr? [...]

MICHAEL KRAUS, Würzburg

Ein so pauschales Plädoyer für militärisches Handeln kann nur durch einen naiven Glauben an die Wirksamkeit militärischer Interventionen zur Lösung von gesellschaftspolitischen Problemen begründet sein und blendet die möglichen katastrophalen Folgen aus. Viele Erfahrungen mit Militäraktionen und Kriegen nach dem Zweiten Weltkrieg beweisen das Gegenteil. Anstatt die jetzt bewilligten Milliarden für Militäraktionen einzusetzen, sollten diese in Entwicklungs- und Friedenspolitik investiert werden, dies hätte längerfristig positivere, strukturelle Wirkungen und würde dem Terrorismus seinen Nährboden entziehen.

REINHARD KOPPE, Leinfelden-Echterdingen

Gut, das Sie die Fahne des Verstandes noch einmal hoch halten, bevor wir alle im Meer der Emotionen ersaufen. Gefühlspazifisten haben die unangenehme Eigenart, erst dann sprachlos zu sein, wenn das eigene Haus brennt. Bis dahin wollen sie vor allem Frieden für sich selbst und möglichst viel Distanz zu den negativen Veränderungen in der Welt. Sollten sie diese aber doch mal persönlich erreichen, werden sie umgehend zu Gefühlsbellizisten und brüllen nach totaler Sicherheit und Bewaffnung.

Pazifismus und Rationalität müssen sich jedoch nicht ausschließen, wie Sie mit Ihrem Kommentar schlüssig bewiesen haben. ARNOLD VOSS, Herne

Richtig ist an Eberhard Seidels Beitrag, dass die politischen und rechtsstaatlichen Organe der Vereinigten Staaten angesichts der Tragödie des tausendfachen Vater-/Mutter-/Kindermords in New York und Washington nicht tatenlos herum-hamlet-en (alberner Begriff, ich weiß). Welche Verpflichtungen sich für die Bundesrepublik daraus ergeben, steht den entsprechenden Einrichtungen hierzulande offen zu entscheiden. Dass dabei, wie bei jeder anderen politischen Entscheidung auch, Interessenverbände versuchen werden, Einfluss zu nehmen, ist deren gutes Recht. Dumm mag ein solcher Einfluss nur werden, wenn er von den Politikern nicht mehr moderiert wird. Hier sehe ich gegenwärtig, im Falle der von der Friedensbewegung vorgetragenen Bedenken, allerdings keinen Anlass zur Sorge. MARTIN BOTH, Köln

Bei der Verfolgung von rechten und anderen Tätern gelten rechtsstaatliche Grundsätze. Zum Beispiel darf die Polizei nicht den Wohnblock in die Luft sprengen, in dem die Täter wohnen, sondern muss Unbeteiligte bei der Verhaftung schützen – auch wenn der Vermieter vielleicht mit den Tätern sympathisiert.

Im Falle internationaler Verbrechen kann die einzig legitime und auf Dauer auch breitest akzeptable Reaktion ebenfalls nur nach rechtsstaatlichen Kriterien geschehen. Wo diese auf internationaler Ebene noch nicht kodifiziert sind, ist alles Handeln am Vorgriff auf eine zukünftige globale Rechtsstaatlichkeit zu orientieren. Erpressungen gegen andere Länder, die Tötung von Zivilisten und das Faustrecht gehören nicht dazu. Lediglich polizeiliche Gewalt, um die Täter vor Gericht zu stellen, ist legitim. [...]

ULRICH SCHACHTSCHNEIDER, Oldenburg

Um zu zeigen, wie naiv die Friedensbewegung ist, stellt der Autor die Frage: „Welche pädagogischen und sozialen Konzepte schweben ihm (dem Friedensaktivisten) vor, um Überzeugungstäter daran zu hindern, Flugzeuge in Chemieanlagen und Atomkraftwerke zu steuern?“ Gegenfrage: Welche militärischen Konzepte schweben dem Autor vor? Antwort: Es gibt keine. Also müssen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Das hat sogar der ansonsten nur schwafelnde Cohn-Bendit (in derselben taz) mitgekriegt.

Z. A. GADKA, Rostock

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