: Diagnose: abschiebefähig
Innenbehörde will ÄrztInnen fest einstellen, die Abschiebung absegnen ■ Von Sandra Wilsdorf
Der Innenbehörde gefällt ihr zunächst zur Probe installierter „ärztlicher Dienst“ so gut, dass er nun zur Dauereinrichtung werden soll. Die Deputation der Innenbehörde soll heute still und heimlich beschließen, dass zwei MedizinerInnen fest eingestellt werden, die direkt dem Leiter des Einwohner-Zentralamtes unterstellt und dafür zuständig sein werden, die Zahl der Abschiebungen kranker Flüchtlinge zu erhöhen. Sie sollen anzweifeln, was ihre KollegInnen diagnostiziert haben, dass nämlich Flüchtlinge aufgrund von Krankheiten nicht abgeschoben werden dürfen, weil es dort beispielsweise keine ausreichende medizinische Versorgung für sie gibt, oder weil bestehende psychische Krankheiten sich bei einer Rücckehr an den Ort der Traumatisierung verschlimmern würden.
Die Innenbehörde hatte nämlich 1999 als „Problem“ erkannt, dass „die Zahl der Abschiebungen rückläufig ist, obwohl sich die Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen erhöht hat“, hieß es in einem internen Papier. Die Ursache dafür machten die BeamtInnen in ärztlichen Attesten aus, die sie zu einem Großteil für „Gefälligkeitsbescheinigungen“ hielt, „die einzig dem Zwecke der Abschiebungsverhinderung ausgestellt werden“. Weil die Behörde aber auch den AmtsärztInnen nicht traute, stellte sie zwei eigene Ärztinnen ein, deren Stellen nun Ende Oktober auslaufen, und die mit ihren Karrieren anderes vorhaben, weshalb nun zwei neue MedizinerInnen gefunden werden müssen. Die „Erfolgsbilanz“ der Damen: Von etwa 900 Flüchtlingen, die niedergelassene oder Krankenhausärzte aus gesundheitlichen Gründen für nicht abschiebefähig hielten, wurden 506 überprüft. Und siehe da: 250 von ihnen galten sehr wohl als „reisefähig“. Und mit ihnen zusätzlich 305 Familienangehörige.
Wie das kommt? Häufig war der Grund für die unterschiedliche Bewertung das Fehlen eines Zauberwortes: Kommt in einem Attest nicht ausdrücklich das Wort „reiseunfähig“ vor, ist egal, wie eindeutig der Zustand des Patienten beschrieben wird. Da bescheinigt beispielsweise ein Arzt einer alleinerziehenden Mutter aus Bosnien-Herzegowina: „Frau S. wurde im Bosnienkrieg seelisch traumatisiert und hat dieses bis dato nicht adäquat verarbeitet, so dass sie insbesondere unter Angstzuständen und Alpträumen leidet. Aus psychiatrischer Sicht sollte Frau S. längerfristig nicht nach Bosnien zurückkehren.“ Eindeutig? Mitnichten: „In dem Attest spricht er nicht von Reiseunfähigkeit. Daher ergibt sich meiner Ansicht nach auch keine Notwendigkeit einer Amtsarztvorstellung“, befindet die Ärztin der Innenbehörde, die sofort die Abschiebung einleitet.
Dass sich die Sache rechnet, hat die Behörde auch sichergestellt: „Aus Sicht des Gesamthaushaltes werden diese Kosten durch die zu erzielenden Einsparungen von laufenden Sozialhilfekosten um ein Vielfaches aufgewogen“, heisst es in einem Papier von 1999.
„Der ärztliche Dienst als Dauereinrichtung ist eine letzte überflüssige Steilvorlage von Rot-Grün. Schill und seine Freunde werden sie zu nutzen wissen“, kommentiert Burkhard Leber vom Hamburger Arbeitskreis Asyl.
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