: Haltlose Kirchenbänke
■ Das Bremer Gospelfestival heizte Gläubigen und Ungläubigen ein
Cissy Houston, Mutter von Whitney Houston und selbst erfolgreiche Sängerin, erzählt in Gerri Hirsheys Geschichte der Soul-Musik „Nowhere To Run“, dass der Unterschied zwischen Gospel und Soul für sie bestehe lediglich darin bestehe, dass sie in der einen Form ihrer Liebe zu Gott Ausdruck verleihe und in der anderen ihre Liebe zu ihrem Mann - „It is all about love anyhow“.
Eine Botschaft, die auch dem Zion Community Choir aus Bremen am Herzen liegt. Valentine Ifibuzoa, neben Ady Ariwodo, Begründer des seit 4 Jahren bestehenden Chores, sieht eine der Aufgaben des Chores im Überwinden von rassistischen Vorurteilen. „Viele Menschen in Deutschland, vor allem ältere, denken, dass Schwarze ihre Gesellschaft zerstören wollen. Wir versuchen sie vom Gegenteil zu überzeugen.“
Der Zion Community Choir ist ein integrierter Chor, man trifft sich regelmäßig am Donnerstag um 20 Uhr in der Zionsgemeinde in der Neustadt um zu proben. „Wir haben Mitglieder aus Deutschland, der Türkei und Nigeria und sind offen für jeden.“ Ihre Talente stellten sie am 2. Oktober in der Unser Lieben Frauen Kirche unter Beweiß. Anlass war das 2. Internationale Gospelfestival. Ein Titel, der in die Zukunft verweist. Die bisherige Reichweite ist auf Bremen beschränkt. Dieses Jahr waren die Paul Singers aus Habenhausen zu Gast, letztes Jahr war es der Tostedt Community Choir. Die Fühler zu außerbremischen Chören sind allerdings bereits ausgestreckt und auf dem Gospelfestival in Mülheim konnten auch Kontakte nach Amerika, dem Mutterland des Gospels, geknüpft werden. Valentine und Ady hoffen in naher Zukunft ihr Festival vergrößern zu können.
Aber auch so war das Interesse bereits groß, die Kirche bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt. Der Gospel der, den Abend eröffnenden, Paul Singers unterschied sich signifikant von dem des Zion Community Choirs. Eher in der Tradition europäischer Kirchenchöre gab es ein mehrstimmiges, genau einstudiertes Programm, das wenig Raum für Spontaneität ließ. Die instrumentale Begleitung war entsprechend muckermäßig glatt arrangiert.
Für erste ekstatischere Beifallsbekundungen sorgte der kurze Auftritt der „Freaky Dancer“, zweier sehr junger Mädchen, die eine charmante Tanzperformance zu modernen Gospelklängen boten. Unverständlich die defensive Anmoderation: „Was sie nun zu sehen bekommen ist etwas wild....Nennen wir es den Zahn der Zeit.“ Gospelmusik ist eben, im Gegensatz zu europäischer Kirchenmusik, keine, von Kirchenmauern vorm Zeitenwandel geschützte und konservierte Form, sondern eine lebendige, sich stetig verändernde. Der aus ihr entstandene Soul oder Rhythm & Blues wirkt kontinuierlich auf den Gospel zurück. Das Prinzip des Gospel heißt „Call & Response“. Entsprechend agiert der Zion Community Choir mit vier äußerst talentierten Solo-Stimmen. Der Leiter Ady Ariwodo hat das Publikum spätestens mit dem dritten Stück fest in der Hand.
Irgendwann gibt es kein Halten mehr auf den Kirchenbänken. Patrick Peter heizt die Menge mit einer Soul-Performance inklusive Tanzeinlage ein. Als Bonny Louw „Amazing Grace“ anstimmt, höre ich hinter mir eine Frau etwas von „Gänsehaut“ murmeln. Milly Botsio und Karanda sorgen mit ihren kräfigen Stimmen für zusätzliche Klangfarben. Die instrumentale Begleitung ist auf den Rhythmus beschränkt, festes Gerüst für die Stimmen des Chores, der anders als die Paul Singers nicht durch Mehrstimmigkeit glänzt, sondern durch Lebendigkeit. Und das überzeugt dann auch Nicht-Gläubige, vorausgesetzt die Liebe zur Soul/Gospel-Musik ist vorhanden. Dieter Wiene
Der Zion Community Choir tritt am 1. November im Hansazelt auf dem Freimarkt auf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen