: Das Ende eines Zeitungstraums
Die Freiburger Gratiszeitung Zeitung zum Sonntag (ZuS) erschient zwar weiter, das Projekt einer journalistischen Alternative ist aber trotzdem gescheitert. Weil die politische Linie dem neuen Verleger nicht passt, wurde die gesamte Redaktion entlassen
von JENS BARTILLA
Am Ende ging alles sehr schnell – reibungslos schnell. Nachdem die Gespräche mit einem norddeutschen Investor in der vergangenen Woche erneut gescheitert waren (taz vom 25. 9.), sah es für das Freiburger Gratisblatt Zeitung zum Sonntag (ZuS) finanziell düster aus. Die Redakteure legten dem Offenburger Reiff-Verlag, der mehrheitlich an der ZuS beteiligt ist, zwar noch ein Angebot vor, wie das Blatt weitergeführt werden könne, stießen damit aber auf wenig Interesse: Am Montag wurde die komplette Redaktion entlassen und durch eine neue ersetzt.
Redaktion, Herstellung und Verwaltung der ZuS reagierten „mit Empörung“ auf die Entscheidung der Verleger. Für den ehemaligen Chefredakteur der ZuS, Ulrich Fuchs, sind die Entlassungen ein Politikum. Dem Reiff-Verlag gehe es nicht um Geld, sondern offensichtlich um Inhalte und um die politische Haltung der Redaktion. Das Argument, die finanziellen Vorstellungen hätten zu weit auseinander gelegen, lässt er nicht gelten. Mehrmals habe man Verhandlungsbereitschaft signalisiert, sei jedoch auf taube Ohren gestoßen. Fast zynisch wurde das letzte Angebot, mit dem die Redakteure dem Verlag ein Finanzierungsmodell vorschlugen, kommentiert: Man habe nicht gewusst, „ob man es ernst nehmen solle“. Dabei differierten die Vorstellungen der Verleger und der Redaktion hinsichtlich der Kosten für eine ZuS-Ausgabe am Schluss nur noch um etwa 5000 Mark.
Das Verhalten des Reiff-Verlages empfindet Fuchs als eine „Demütigung und Unterschätzung der Redaktion“. Besonderen Anstoß soll der Offenburger Verlag an der Ausgabe vom Sonntag nach den Terroranschlägen in den USA genommen haben.
Anzeigenkunden wollen keine Zurückhaltung
Darin plädierte die ZuS für Mäßigung und Zurückhaltung, was bei Reiff zu heftigen Reaktionen führte: Der ZuS wurde signalisiert, dass ein Anzeigenkunde „sich in so einer Zeitung nicht mehr wiederfinden könne“.
Die Richtung war klar: Die neue ZuS soll nicht mehr anecken. Was der neue Redaktionsleiter Ulf Tietge auch eifrig bestätigt: „Wir wollen weniger tendenziös schreiben und bestimmt nicht versuchen, die Badische Zeitung links zu überholen.“ Die neue Redaktion, die sich aus Redakteuren eines lokalen Wirtschaftsblättchens zusammensetzt, glaubt zu wissen, was den Badnern am Sonntag am meisten gefehlt hat: Mehr Wirtschaft, weniger Kultur. „Leserorientierte Kernkompetenz“ nennt man das dann und fühlt sich dabei wie Helmut Markwort.
Doch diese Rechnung ging schon einmal nicht auf: 1999 sollte das Konzept der ZuS auf Karlsruhe und Heilbronn übertragen werden und scheiterte, unter anderem auch, weil offenbar in Freiburg journalistische Qualität am Sonntag mehr geschätzt wird als andernorts. Der Traum von ZuS-Gründer Michael Zäh, eine eigenständige Zeitung zu machen, die nicht am „Mainstream“ orientiert ist, währte damit nur knapp vier Jahre. Hätte man auf einige gewagte Experimente verzichtet, dann hätte dieser Traum wohl länger angehalten. Zäh, der von freundlichen Zeitgenossen als Idealist, von weniger freundlich Gesinnten als Träumer charakterisiert wird, wollte schon bald nach dem Start der Sonntagszeitung ständig mehr und scheiterte fast immer: Nur sechs Monate nach der Nullnummer der ZuS konnte Zäh das Hamburger Verlagshaus Gruner und Jahr als Partner gewinnen und plante die Expansion auf insgesamt 15 Standorte in ganz Deutschland. Letztlich wurden es dann nur Karlsruhe und Heilbronn, und der G+J-Verlag zog sich nach nur eineinhalb Jahren wieder zurück.
Der Rückzieher von G+J war für die ZuS jedoch ein Glücksfall: Durch ein Abschiedsgeschenk von 10 Millionen Mark war man auf einen Schlag alle Schulden los. Für Zäh das Startsignal zu neuen Projekten: Mitte 2000 bekam Freiburg eine kostenlose Abendzeitung, die mehrmals wöchentlich ausgelegt wurde. So richtig zufrieden war man damit aber auch nicht – eine richtige Tageszeitung musste her.
Das Ziel aller Träume Zähs, die Tageszeitung zus, stand allerdings von Anfang an auf äußerst wackligen finanziellen Beinen. Abonnenten erhielten eine Yellow Card und durften damit bei Werbekunden der zus ihr Auto waschen lassen, sich im Thermalbad verwöhnen lassen oder ins Theater gehen. Noch heute ist man bei der ZuS davon überzeugt, dass ein solches Konzept lebensfähig gewesen wäre, hätte man nur mehr Abonnenten gewinnen können oder einen finanzkräftigen großen Verlag im Rücken gehabt. Allerdings gibt man auch zu, dass Zäh „handfeste ökonomische Fehler“ begangen hat, die aus unerfindlichen Gründen von keinem Berater oder Wirtschaftsprüfer korrigiert worden sind. Heute weist die Michael Zäh AG einen Forderungsstand von 11 Millionen Mark aus – schon vor zwei Jahren soll die damalige GmbH überschuldet gewesen sein.
Dennoch: Zum Buhmann und alleinigen Sündenbock wollte Michael Zäh zumindest in der Redaktion der ZuS bis zuletzt niemand so richtig machen. Für das Ende der ZuS seien andere verantwortlich. Das konnte man auch in der letzten Ausgabe vom vergangenen Sonntag lesen.
Verschlüsselte Botschaften
Allerdings musste man schon genau hinlesen, denn da die Ablehnung des Redaktionsangebotes erst am Montag erfolgte, waren solche Botschaften freilich nur verschlüsselt geschrieben – es hätte ja auch gut ausgehen können. Neben dem Titelthema – Sonntagszeitungen in Deutschland – und einem dreiseitigen Essay des Medientheoretikers Marshall McLuhan über das Zeitungmachen sprach es vor allem der Kommentar auf der Titelseite an: Schlagerfuzzi Ralph Siegel und seine neue Geliebte Naddel dienen als Projektionsfläche: „Und wenn wir Naddel eines Tages nicht mehr sehen, sie einfach weg ist, ohne uns zu sagen, warum und wieso, dann wissen wir: Sie wurde ganz fix mal wegrationalisiert.“ Solche publizistischen Feinheiten wird man in Freiburg ab kommenden Sonntag wohl schmerzlich vermissen.
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