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Grüner-Punkt-TV auf Sendung

Das private tv.nrw ist erst wenige Tage alt, wirkt aber zu oft wie schon mal gesehen

BOCHUM taz ■ Grün ist neu. Grün ist frisch. Jörg Schütte, Geschäftsführer des am Montag gestarteten tv.nrw, erhoffte sich vom apfelgrünen Logo ein „modernes und unverbrauchtes Image“. Doch das Programm des ersten landesweiten privaten Fernsehsenders in Nordrhein-Westfalen wirkt nach den ersten Sendetagen recycelt, das Personal verschlissen: Schütte hat ModeratorInnen eingekauft, die ihren Zenit längst überschritten haben.

Wigald Boning, Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder debattieren „über den alltäglichen TV-Wahnsinn“. Boning paddelte außerdem in seiner ersten „WIB-Schaukel“ mit Walter Momper auf dem Wannsee herum – und der Zuschauer erfuhr, dass Momper Berlin „unglaublich geschichtsträchtig“ findet. Ähnlich geschichtsträchtig bei der Jagd um das avisierte Zielpublikum der 19- bis 30-Jährigen wirkt da „Formel Eins“: Ingolf Lück und Kai Böcking steigen aus der medialen Gruft, um Videoclips und Konzerteinlagen der 80er-Jahre zu moderieren. Und die vor allem durch ihre überdrehten Moderation von „Girlscamp“ aufgefallene Barbara Schöneberger testet in „Blondes Gift“ ihre Gäste auf – „Blondfaktor“.

Viele tv.nrw-Sendungen verkleiden nur dürftig die penetranten Dauerwerbestunden. Im Reisemagazin „Sonnenklar“ säuselt eine QVC-Stimme über Pauschalreisen, die per 0190-Nummer direkt gebucht werden können. Auch „Stripes“, das Kinomagazin am Mittwoch war eine peinliche Kette von Werbetrailern, nur kurz unterbrochen durch – Eigenwerbung des Senders.

Hinter tv.nrw stehen die großen NRW-Regionalverlage. Je 30 Prozent der Anteile halten die WAZ-Gruppe aus Essen, der Kölner Verlag DuMont-Schauberg und Treuhänder Roger Schaak – nach Insidermeinung für den Verlag der Rheinischen Post aus Düsseldorf. Der über die restlichen zehn Prozent gebietende Gesellschafter stieg kurz vor Sendestart aus: Wer den Anteil von Theodor Baltz und seine Berliner Produktionsfirma MedienKontor („Christiansen“), übernimmt, ist noch unklar.

Streit gab es von Anfang an: Drei Anbieter wollten die Kabelfrequenz, im Sommer 2000 schien ein auf politischen Druck zustande gekommenes Einheitskonsortium perfekt – und platze wieder: Die für August 2000 vorgesehene Lizenzerteilung musste verschoben werden. Zuletzt setzte sich tv.nrw durch – und erreicht 4,2 Millionen Haushalte.

Seinen Hauptkonkurrenten, das öffentlich-rechtliche WDR-Fernsehen, will Geschäftsführer Schütte ausgerechnet mit Infosendungen schlagen. Die Themen des Reportagemagazins „countdown nrw“ lassen allerdings schon erahnen, dass hier eher mit Boulevardhäppchen abgefüttert werden soll: Die Themen reichen von „Brandeilig – die Feuerwehr in Düsseldorf“ über „Fahrschule Müller in Wuppertal“ bis zur „Tierklinik Lohmar“. Ab 17 Uhr 30 gibt es täglich zwei Stunden lang aktuelle Meldungen aus NRW, für News-Kompetenz steht hier frühere Sat.1-Nachrichtensprecherin Brigitte Reimann. Wer allerdings erfahren möchte, was im größten Bundesland vorgeht, wird auch in Zukunft öffentlich-rechtlich bleiben: tv.nrw-Meldungen über tobsüchtige Autofahrer, die „Starenkästen“ abmontieren, oder über kranke Meerschweinchen verbeißt sich der WDR.

Diese Nachrichtenhoheit macht tv.nrw dem WDR auch nicht streitig: Wenn dort um 19 Uhr 30 die „Aktuelle Stunde“ läuft, zeigt tv.nrw die tägliche Kochsendung „echt lekker“.ANNIKA JOERES

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