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Der Schock sitzt tief

Nach der Bruchlandung der Swissair ist die Schweiz tief aufgewühlt. Drastische Dämpfer für die Wirtschaft werden aber kaum erwartet

Mit der Swissair fällt ein nationales Symbol vom Range der Rütli-Wiese

aus Basel PIETER POLDERVAART

Wer den Schaden hat, braucht für Spott nicht zu sorgen – das erlebt auch der jüngst auf „Unique Airport“ umgetaufte Flughafen Zürich-Kloten. Einzigartig war es tatsächlich, das Chaos der vergangenen vier Tage. „Bei uns würde man sagen, ‚typisch Afrika‘ “, so ein gestrandeter Geschäftsmann aus Johannesburg. Tausende pendelten von der nicht mehr bedienten Gepäckabfertigung zum Infodesk und zurück oder versuchten, zumindest ihr bereits eingechecktes Gepäck wieder aus den Eingeweiden der Sortieranlage zu befreien.

Dass das Geschäft der Nationalsymbols Swissair nicht blühte, war zwar schon seit Jahren bekannt. Doch dass Shell, BP und Co. den Zapfhahn zudrehen, weil der Gesellschaft Geld fehlt, traf die Öffentlichkeit völlig überraschend. Der Schock bei den Schweizern sitzt tief.

Für die Schweiz bedeutet der bisher größte Firmenzusammenbruch dreierlei. Zum einen heißt es Abschied nehmen von einem Unternehmen, das weit über seine tatsächliche Bedeutung hinaus einen Nimbus von Weltläufigkeit ausstrahlte, in dem sich das isolationistische Land, das noch nicht mal Mitglied der UNO ist, allzugern sonnte. Alt-Bundesrat Adolf Ogi etwa hatte einst offenbart, beim Besteigen eines Swissair-Jumbos in Hongkong habe er dasselbe erhebende Gefühl, wie wenn er auf der Rütli-Wiese stehe, der angeblichen Wiege der Eidgenossenschaft. Zum zweiten haben viele SchweizerInnen ihre Gläubigkeit an das Gute in den Schweizer Grossbanken verloren. Wut kam auf, dass sich UBS und Credit Suisse noch am Montag als Swissair-Retter feiern ließen, ihre Hilfsgelder jedoch erst verzögert überwiesen und so die Flotte auf den Boden zwangen. Ob dahinter tatsächlich ein Komplott der beiden Firmenchefs Marcel Ospel (UBS) und Moritz Suter (Crossair) steckt, ist noch offen. Gemunkelt wird, die zwei hätten Swissair bewusst auflaufen lassen. Das mögliche Kalkül: Weil der Börsenkurs von Swissair zusammenbrach, können die Banken die Mehrheit nun billig übernehmen – inklusive der Swissair-Tochter Crossair, die die Geschäfte teilweise weiterführen soll.

Drittens haben Moral und Geschäft einen noch schwer zu beziffernden Dämpfer erlitten. Nach den Attentaten in den USA und dem Amoklauf in Zug von vergangener Woche, wo ein rechtsgerichteter Querulant 14 Mitglieder von Kantonsregierung und -parlament niederstreckte, muss die Schweiz mit drei Schreckensnachrichten innerhalb kurzer Zeit fertig werden.

Viele Menschen sind beunruhigt. Auch deshalb, weil die Jobs nicht mehr so sicher scheinen wie ehedem. Erste Schätzungen gehen davon aus, dass trotz einer Staatsspritze von umgerechnet 540 Millionen Mark in den nächsten zwei bis drei Monaten rund 4.000 Schweizer Angestellte der Swissair-Group ihre Stelle einbüßen. Nochmals so viele könnten bei Zulieferern und Vertragspartnern betroffen sein. Der Kanton Zürich hat am Flughafen bereits ein Zentrum für Stellenberatung eröffnet.

Die ängstliche Grundstimmung ist freilich nur wenig von neuesten Prognosen der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der Hochschule Zürich gedeckt: Dieses Jahr soll das Wachstum zwar nicht 2,1, sondern nur 1,9 erreichen, spätestens 2003 aber wieder die Zwei-Prozent-Grenze überspringen. Doch anstelle eines Einbruchs gebe es heute sogar gewisse Signale einer Erholung, erklärt KOF-Leiter Bernd Schips.

Dass dies zumindest mittelfristig nicht aus der Luft gegriffen ist, belegen die Stelleninserate, die im ersten Halbjahr 2001 um satte 9,3 Prozent zugenommen haben. Laut Konjunkturforschungsstelle wird die Arbeitslosenziffer auch in den nächsten Jahren die für europäische Verhältnisse traumhaften 2 Prozent nicht übersteigen.

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