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Und es schmilzt doch!

■ Am Wochenende ist das Forschungsschiff „Polarstern“ nach Bremerhaven zurückgekehrt / Wissenschaftler berichten von schmelzendem Eis, U-Vulkanen und – einer Party

Der „Spiegel“ hatte bereits scheinbar Entwarnung gegeben: Weil sich der Forschungseisbrecher „Polarstern“ und der amerikanische Eisbrecher „Healy“ bei ihrer gemeinsamen Arktis-Expedition durch meterdickes Eis kämpfen mussten, war der Eindruck entstanden, die Eisdecke am Nordpol sei dick und fest wie eh und je. Die Geschichte von der Polschmelze – hysterische Panikmache von überängstlichen Umweltschützern und Apokalyptikern?

Am 7. Oktober kehrte die „Polarstern“ nach Bremerhaven zurück, im Gepäck hatten die Wissenschaftler viel Gestein und überraschende Antworten auf diese und andere Fragen. Die Messungen, die der Physiker Christian Haas und seine Kollegen im arktischen Eis durchführten, gaben deutliche Anhaltspunkte: Die Eisdecke scheint tatsächlich dünner zu werden. Wo das Eis 1991 noch knapp zweieinhalb Meter dick war, sind es jetzt weniger als zwei. Bisher habe es für Theorien über Polschmelze nur schwammige Indizien gegeben, da es fast nur geheim gehaltene Daten von Militär-U-Booten gegeben habe, erklärt Haas. Das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven entwickelt seit einigen Jahren Verfahren, die auch zivilen Forschungsgruppen Messungen ermöglichen.

Sie seien die einzigen verbliebenen echten Polarforscher, so Haas, „Wir laufen noch zu Fuß durch Schnee und Eis, bewaffnet bis an die Zähne.“ Bald ist aber auch damit Schluss: Zum ersten Mal testeten die Forscher ein Verfahren, bei dem ein elektromagnetisches Mess-gerät von einem Hubschrauber herunterhängt und zehn bis 20 Meter über dem Eis dessen Dicke misst.

Doch nicht nur das Eis interessiert die Forscher vom AWI. Auf dem ersten Fahrtabschnitt untersuchten sie das Bodenwasser der Grönlandsee. Das erwärmt sich wie gewohnt jährlich um etwa 0,01 Grad, bestätigten die aktuellen Messungen.

Noch tiefer forschten die Wissenschaftler auf dem zweiten Fahrtabschnitt, hier ging es vor allem um den Meeresboden. Wichtigstes Forschungsobjekt war der Gackel-Rücken. Er ist der nördlichste Ausläufer einer Gebirgsnaht, die sich durch die Ozeane der Erde zieht. Dort spreizen sich die Ozeanböden und verschieben die Kontinente. 1600 Kilometer unterseeisches Gebirge haben die Wissenschaftler nun kartiert, zum ers-ten Mal wurde der westliche Teil des Gackel-Rückens untersucht. Da sich der Meeresboden hier nur um einige Millimeter pro Jahr spreizt, hatten die Wissenschaftler wenig Aktivität erwartet. Doch „unter der trügerisch-ruhig dahin-driftenden arktischen Meereisde-cke verbirgt sich ein brodelnder chemischer Hexenkessel, von dessen Existenz man bisher keine Ahnung hatte“, berichtet Fahrtleiter Jörn Thiede. Heiße Quellen, Vulkankegel und Meeresbeben fanden die Forscher vor.

Doch bei allem wissenschaftlichen Eifer ließen es sich die Seeleute und Wissenschaftler aus 17 Nationen nicht entgehen, die Ankunft am Nordpol am 6. September mit einer großen Eisparty zu feiern.

Vivien Mast

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