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Tanzen in Wandsbek

■ Eine Ausstellung zu Wandsbeks Geschichte zeigt Bilder aus Zeiten, als der Stadtteil hip war Von Markus Flohr

Im „Harmonie“ hat sie damals geknutscht und geraucht. Die Kinos im Hamburger Westen hatten noch Namen wie „Kristall-Palast“ oder „Rondell.“ Erika Paschereit schaute dort „Ben Hur“ oder „Vom Winde verweht“. Seit einem halben Jahrhundert ist sie Wandsbekerin. Heute gibt es die Säle nicht mehr, im „Rondell“ ist die Sparkasse, im „Harmonie“ ein Supermarkt. Sie steht vor den leicht verwack-elten schwarz-weiß-Bildern der Kinos. Und vor ihren Erinnerungen. Streiflichter von gestern und von vorgestern.

Alle Erinnerungen konnten in der Austellung „Streiflichter aus Wandsbeks Geschichte“ nicht auf Fotos festgehalten werden, aber noch vieles mehr aus der Vergangenheit des Stadtteils. Matthias Claudius, den vielleicht berühmtesten Wandsbeker, kannte auch Erika Paschereit nicht. Sein „Wandsbecker Bothe“ machte das erstmals 1296 urkundlich erwähnte „Wantesbeke“ weithin bekannt. Heute ist diese frühe Zeitung nur noch leblos hinter Plexiglas aufgebahrt zu besichtigen. Ein anderes Vermächtnis des Tausendsassas blieb lebendig. Das Lied „Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein...“ wurde auch Erika zum Wegschlummern vorgesummt, ohne dass sie ahnte, Wandsbeker Liedgut zu hören. Zwischentöne dieser Art machen die Aussttellung zu einem Erlebnis, nicht die Superlative. Bismarck ist Ehrenbürger, schön und gut, das Harmonie-Kino hatte 1500 Plätze und ist damit größer als das Cinemaxx am Dammtor-Bahnhof, soweit der Wahnsinn.

Aber was keiner weiß: In Wandsbek ist unter Umständen die Fotomontage erfunden worden. Als Königin Wilhelmina der Niederlande das nach ihr benannte Bataillon in Wandsbek besuchte, hatte sie es eilig. Sie posierte für kein Foto. Der Fotograf montierte später ihren Kopf in ein anderes Foto des Besuchs kurzerhand auf irgendeinen Frauenkörper.

Keine Montage sind die Aufnahmen nach dem zweiten Weltkrieg. Eine zerbombte Dulsberg-Siedlung, eingestürzte S-Bahnbrücken. Nicht viel blieb stehen. Einige Jahre zuvor, 1937, wurde Wandsbek „mit einem Pinselstrich“ Stadtteil von „Gross-Hamburg“. Zu dieser Zeit schlich sich Walter Klein, heute Mitarbeiter im Wandsbek-Archiv, als Junge in Filme für Erwachsene. „Und das, obwohl die 'Streifen-HJ' auf Kontrollgang war.“

Die Vergangenheit ihrer Lichtspiele ist für viele WandsbekerInnen die Linse in ihre Vergangenheit. Denn dort, wo heute das Studio Hamburg produziert, wurden einst von der „Real-Film Gmbh“ Streifen wie „Das Herz von St. Pauli“ produziert. Als „Norddeutsches Hollywood“ beschreibt die Ausstellung Wandsbek. Walter Klein sagt es klarer: „Ganz Hamburg kam zum Schwofen nach Wandsbek.“

Die Ausstellung ist im Staatsarchiv in der Kattunbleiche 19 in Hamburg-Wandsbek zu sehen.

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