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Schnelle Schlitten, kaltes Eis

■ Sledge Hockey ist ein schneller Sport: Auf kleinen Flitzern rasen die Spieler übers Eis und donnern dem Gegner die Tore rein / Derweil räumt der Trainer die Prothesen aus dem Weg / Am Wochenende steigen die Qualifikationen für die Paralympics 2002

Mittwoch abend, viertel vor acht in der Eissporthalle „Paradice“: Eishockey-Pucks zischen über die spiegelglatte Fläche, ein Torwart streckt sich und versucht, den Beschuss abzuwehren – das Bremer Sledge-Eishockey-Team trainiert. Uwe Kampermann gehört zum Team und ist auch Nationalspieler. Eingepackt in die übliche Schutzkleidung – dicke Schulterpolster, Helm, Handschuhe – fährt er mit seinem Rollstuhl aufs Eis und steigt dort in seinen „Sledge“. Das ist ein kleiner, schneller, sehr wendiger Schlitten mit Schlittschuh-Kufen drunter.

Jetzt noch anschnallen und die Beine mit einem Gurt festzurren, dann kann's losgehen. Kampermann stößt sich mit seinen beiden kurzen Hockey-Schlägern vom Eis ab, genauso wie man es beim Skifahren auch macht. So kommt er auf eine beachtliche Geschwindigkeit. Der Nationalspieler ist seit zwanzig Jahren querschnittsgelähmt. Er hat immer viel Sport getrieben. Seit fünf Jahren spielt er jetzt die schwarze Hartgummischeibe mit den zwei kurzen Schlägern vom Schlitten aus.

Bis alle SpielerInnen ihre Beinprothese abgebaut oder aus dem Rollstuhl in den Sledge gewechselt sind, vergeht Zeit. Trainer und Lebensgefährtinnen räumen Rollstühle, Krücken und künstliche Beine vom Spielfeldrand. Nach den Vorbereitungen wird es rasant: Die Ersten jagen schon in einem atemberaubenden Tempo übers Eis, legen sich scharf in die Kurven: Spurt, Zuspiel, Bodycheck. Umkippen ist hier kein Thema mehr. Das gehört zwar am Anfang dazu, weil die Kufen unter dem Schlitten so eng beieinander liegen, aber nach ein paar Wochen passiert es nur noch in allzu rasanten Manövern.

Das Training ist gedrosselt. Es ist nämlich das letzte vor dem Qualifikationsturnier am kommenden Wochenende für die Paralympics 2002 in Salt Lake City. Beim internationalen Wettbewerb in den USA stehen schon fünf der sechs Turnierteilnehmer fest: Kanada, Norwegen, Schweden, die USA und Japan. Um den letzten freien Platz kämpft Uwe Kampermann mit seinem Team ab Freitag in Bremen. Mitbewerber sind Estland und England.

„Die Favoriten sind die Esten“, sagt Kampermann. „In Deutschland haben wir ja erst seit letztem Jahr überhaupt eine Nationalmannschaft“, erzählt er weiter. In Schweden gibt es diesen Sport schon seit Anfang der sechziger Jahre, in Deutschland gerade mal seit fünf Jahren. Kampermann war von Anfang an dabei.

Rollstuhlfahrer Detlef Zinke war 1996 als Teilnehmer bei den Paralympics in Lillehammer. Von dort hat er Sledge-Hockey mit nach Deutschland gebracht. In Hannover gründete er die erste Mannschaft. Vor zwei Jahren entstand das zweite deutsche Vereinsteam in Dresden, und seit einem Jahr können in Bremen Leute mit und ohne Handicap im Schlitten übers Eis sausen.

Uwe Kampermann hat den Sport nach Bremen gebracht. Er kann nicht anders, als ein Loblied auf den Bremer Eishockey Club (BEC) zu singen: Er habe dem Verein vorgeschlagen, eine Sparte für Sledge-Hockey aufzumachen, zwei Wochen später habe man sich getroffen und bald danach hatte man auch schon die erste „Eiszeit“, das ist eine Trainingszeit auf dem Eis.

In Hannover sind schon über tausend ZuschauerInnen zu Sledge-Hockey-Länderspielen gekommen. Sicherlich werden in Bremen auch viele BEC-ler der Nationalmannschaft am kommenden Wochenende die Daumen drücken. Denn wenn die Deutschen trotz ihrer geringen internationalen Erfahrung ihre übliche Anfangsaufgeregtheit schnell in den Griff bekommen, haben sie vielleicht eine Chance, nach Salt Lake City zu fliegen. „Und falls es nicht klappt“, tröstet sich Kampermann, „dann sind zumindest die Eishallen im Paradice bald IPC-tauglich umgebaut.“ IPC ist das International Paralympics Commitee. Dann kann sich Kampermanns Team für die Ausrichtung der Europameisterschaft bewerben.

aro

Die Spiele Am Freitag spielt England gegen Estland ab 14 Uhr, am Samstag Deutschland gegen England ab 13 Uhr und am Sonntag Deutschland gegen Estland ab 11 Uhr. Alle Spiele in der Eissporthalle „Paradice“, der Eintritt ist frei..

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