Komplett deppert?

Das 5:1 der Bayern im Derby gegen die Sechziger steht ganz im Zeichen von Beckenmoser und Wildbauer

MÜNCHEN taz ■ An so einem Tag müssen sie damals Olympia erfunden haben: Himmel bis obenhin, keine Wolke trübt die Sicht auf die sanften grünen Hügel des Parks und die Silhouette der nahen Stadt, die Spätsommersonne wirft dekorative Schatten ins Stadion – da dabei sein, das ist doch alles. So war das früher mal, vielleicht. Heute reicht dabei sein natürlich selbst an diesem manchmal magischen, immer sehr münchnerischen Ort Olympiastadion nicht.

Da mag der Zuschauerblick an noch so vielen Augenschmeichlern kleben bleiben – die Fußballer des FC Bayern und des TSV 1860 wollen weg aus diesem Paradies. Fort in ein neues, ein richtiges Fußballstadion. Zur Not auch in eins direkt neben der Müllkippe des sterbenslangweiligen Stadtteils Fröttmaning. Warum bloß? Oder im Slang des weltbekannten Giesingers Franz B: „Ja, sann die komplett deppert?“

Kaum sind die weißen und blauen Luftballons aufgestiegen, kaum haben die Spieler das Feld betreten, weiß man warum. Alles prima im Oly, bis man halt irgendwann runterschaut auf den Rasen. Und nix mehr sieht. Die Kicker in der Distanz nur erkennt, wenn man sie gut kennt, ihre Frisuren und Bewegungen ausmachen kann. Durchs Opernglas mag sich der Fan halt kein Fußballspiel anschauen. Ein Fest wie das 5:1 der cool-effizienten Roten (Trainer Hitzfeld: „Haben zum richtigen Zeitpunkt sehr schöne Tore gemacht“) gegen die staunenden Blauen (Bürgermeister-Fan Ude: „In der zweiten Hälfte war’s nur noch schrecklich“) schon gleich gar nicht. Doch wie ein Match endet oder abläuft, ist in München derzeit fast Nebensache. Was zählt, ist: Wird für die Weltmeisterschaft 2006 ein neues Stadion gebaut?

Kommenden Sonntag gibt es einen Bürgerentscheid, und so nutzen Gegner und Befürworter des Neubaus das 194. Derby noch einmal als Forum. Auf der Videoleinwand laufen Werbespots. Der Kaiser spricht: „Wenn wir die Chance der WM nicht nutzen, ist’s für 100 Jahre vorbei.“ Im Stadionheft werden die Details zum Neubau auf sechs Seiten erläutert. Die Bayern-Fans zaubern per rot-weißer Papierchoreografie ein „Ja zum neuen Stadion – und natürlich zum Derbysieg in die Südkurve. Gegenüber skandieren die Hand voll „Freunde des Sech’zger Stadions“ eher verzweifelt „Niemals, niemals Kaiser-Dom“, warnen vor dem „Rot-Blau München United“, dem Verein, der eigentlich gegründet werden müsste, sollten Rote und Blaue tatsächlich gemeinsam ein Stadion bauen.

Keine Spur mehr von Derby-Stimmung. Schulterschluss und Verbundenheit statt Rivalität und Konkurrenzdenken. Keine Aussicht auf Ohrfeigen, rote Karten und all die Emotionen, die traditionell zum Streit um die Münchner Stadtmeisterschaft gehören. Im Gegenteil: In der Heftmitte der Stadionzeitung posieren die Vereinspräsidenten als Starschnitt derart kumpelhaft mit dem Pro-Stadion-Plakat, dass man kaum noch weiß, wer Beckenmoser und wer Wildbauer ist. Nur die gemeinsame Ola klappt noch nicht. Aber da stand es ja auch schon 3:1 für Bayern, und da macht kein Sechziger bei einer von den Roten angezettelten Welle mit, so weit geht die Kooperation nun auch wieder nicht.

Ein wunderbares Spiel, auch ohne Opernglas. Zaubertor vom einzigen Münchner im Derby, Daniel Bierofka, in bester Bernd-Dürnberger-Tradition von halblinks zur Mitte drängend. Ausgleich durch den Jungspund auf der Gegenseite, Roque Santa Cruz. Dann zweimal Owen Hargreaves als Vorbreiter für Fink und Salihamidzic. Folgt das derzeit unvermeidliche Elber-Tor nach schönem Freistoßtrick (Elber: „Den probieren wir schon seit drei Jahren.“) und als Zugabe ein Pizarro-Elfer.

5:1, die höchste Derby-Niederlage für die Löwen seit 20 Jahren. „Ich bin lang genug dabei, um zu wissen, was das bedeutet“, sagt Fink, „für die Fans ist heute Weihnachten.“ Und Kollege Elber fügt an: „Wenn du in Brasilien so ein Derby verlierst, sind die Fans so sauer, da musst du zwei Tage lang in der Kabine bleiben oder im Stadion schlafen.“ Also Stadion-Erfinder, auch an die Verlierer denken! THOMAS BECKER