Die selbstverliebte Stimme

Klaus Kinski in seinen eigenen Worten: Der Schauspieler Claude-Oliver Rudolph liest autobiografische Texte des flachsblonden Ego-Erotomanen. Rudolph nähert sich Kinski im zerbeulten Trainingsanzug und mit dem Herz eines Boxers – physisch, aber zurückhaltend, ohne ihn zu erdrücken

von JENNI ZYLKA

Klaus Kinski war ein kleiner Mann. Ein schmächtiger Mann mit einem großen, fast viereckigen Kopf, einer hohen Stirn, über die flachsblonde Haare bis in die schimmernden Augen fielen. Seine Stimme erinnerte an die eines wahnsinnigen kleinen Jungen kurz vorm Wutanfall: hoch, dünn, körperhaaraufstellend.

Claude-Oliver Rudolph ist ebenfalls nicht besonders groß. Aber er hätte den echten Kinski wahrscheinlich mit drei Fingern der linken Hand zerquetschen können. Rudolph, der Bond-Gegenspieler, der Chinesen-Fiete im „König von St. Pauli“, der Autonarr, der Boxer mit dem zerfurchten Gesicht, hat mit Kinski gemein, dass beide am liebsten als Bösewichte eingesetzt wurden und werden. Der eine, weil man ihm das Böse ansieht. Der andere, weil man in seiner Nähe den Wahnsinn fühlte.

Wenn Claude-Oliver Rudolph also Kinski spricht, dann ist das anders, als wenn Kinski Villon sprach, dessen Dichterei und Manieriertheit im Ausdruck und im Leben er nacheiferte. Rudolph nähert sich Kinski eher von der physischen Seite – einer Boxer-Seite vielleicht. Und damit er Kinski bei diesem Ringkampf nicht allein durch seine Präsenz platt macht, nimmt Rudolph sich bei der Hommage-Lesung in Berlin – zum 75. Geburtstag und 10. Todestag Kinskis – vornehm zurück. Er lümmelt in einem zerbeulten weißen Trainingsanzug auf der Bühne des Tränenpalasts herum, in der Hand lose Textblätter: eine bis dato unveröffentlichte Biografie Kinskis, die dieser 1952 schrieb.

Kinski war damals Mitte 20, hatte sich mit fast sämtlichen Intendanten der Berliner und Münchner Bühnen zerstritten, war aus allen Wohnungen und Zimmern geflogen, hatte, als junges, unverstandenes Genie selbstverständlich mittellos, von geklautem, unreifen Obst gelebt und seine Schauspielkunst perfektioniert. Das behauptet Kinski jedenfalls in seinem eleganterweise in der dritten Person verfassten Manuskript: „seine überwältigende Sensibilität machte ihn krank“. Oder „er war ein Genie. Ein Wahnsinniger.“

Rudolph hat dieses Manuskript von Peter Geier, der hauptberuflich Loriot managt und nebenbei Nachlässe ersteigert. Geier hat auch den Kontakt zur letzten Familie Kinskis, der in den USA lebenden Ehefrau Minhoi und Sohn Nikolai hergestellt. Bei der Premiere in Berlin sitzen beide in der ersten Reihe.

Vor Beginn bedankt sich Nikolai, der den Blick, die Kopfform und vor allem die unglaublichen Lippen vom Vater geerbt hat, vor einem riesigen Dia des jungen Kinski beim Publikum für sein Interesse. Der Countertenor Joachim Diessner singt eine Arie und geht dabei in einem schaurig-schönen roten Samtgehrock über die Bühne, dazu begleitet Frank Stukenbrock ihn auf der Gitarre. Als dann Rudolph anfängt zu lesen, vergisst man, wer da unter diesem unfestlichen Trainingsanzug steckt. Nicht, weil Rudolph versucht, wie Kinski zu klingen. Das könnte er zwar, im Interview hatte er vorher leichterhand ein paar gruselig-näselnde Kinski-Imitationen aus dem Ärmel geschüttelt. Aber Rudolph und sein Regisseur RP Kahl haben sich entschlossen, Kinski zu konstatieren, nicht zu interpretieren. Und das reicht.

Denn Kinskis Text, seine Biografie, überschlägt sich ganz von selbst vor An- und Hingabe, vor Übertreibung, Leidenschaft und Selbstdarstellung. „Wir haben teilweise am Boden gelegen vor Lachen“, erzählen Regisseur und Protagonist später. Kinskis Text inszeniert sich selbst, Rudolph muss nur lesen – eindringlich, schauspielergeschult lesen zwar, aber nicht mehr. Der Text ist „monströs“, um ein Kinski-Wort zu benutzen, nicht gar so monströs wie seine späteren Biografien, in denen Kinski keine zwei Minuten durch eine Stadt schlendern kann, ohne dass sich mindestens drei Mädchen brunftend die Höschen vom Leib reißen. Aber der Ego-Erotomane Kinski ist schon deutlich zu erkennen.

In der zweiten Programm-Hälfte scheint Kinski ein wenig mehr Besitz von Rudolph ergriffen zu haben, der immer noch in seinen bequemen Sportklamotten auf dem Boden hockt. Rudolph lässt jetzt hin und wieder die nasale, selbstverliebte Kinski-Stimme aufblitzen, die Zuschauer kichern, wenn sie sich der Worte bewusst werden: „ich probte mit 14-jährigen Mädchen eine Szene aus Romeo und Julia. Aber keine konnte mir genügen, so viele ich auch probierte.“

„Guck mal, wie bekloppt das aussieht“, hatte Rudolph vorher gesagt und das Foto gezeigt, das Kinski 1949 in Cocteaus „La voix humaine“ zeigt. Kinski spielte in dem Ein-Personen-Stück eine Frau, die von ihrem Geliebten verlassen wurde und sich nach einem langen Telefongespräch mit dem Kabel erwürgt. Das Dia wird bei der Lesung an die Wand geworfen: ein weibliches Gesicht, leicht silberblickende Augen, ein dunkler Lockenkopf und die Hände, die sich um das Telefonkabel ringen. Sieht schon bekloppt aus, aber auch verzweifelt. Wie eine komische einsame Frau, nicht wie ein komischer verkleideter Mann.

Rudolph, der sein Ruhrpott-Herz am rechten Fleck und auf der Zunge und so weiter trägt, der über „den Udo, den Heiner, den Heinz“ herkumpelt, wie es eben nur Ruhrpottler tun, ist sicher, dass Kinski „ein netter Typ“ war. Diese Ausrastereien, diese Anfälle, die Regisseur Werner Herzog einmal „Tobsucht“ nannte, die haben schließlich viele Künstler und Regisseure. „Der Dieter“, Wedel nämlich, „flippt auch manchmal völlig aus, wie ’n Gewitter“, plaudert Rudolph aus.

Und er selber sowieso: mit „dem Heinz“, Hoenig nämlich, auch so einem „Kumpeltyp“, hat er sich am Set mal fast geschlagen. Aber eigentlich halten der Claude-Oliver, der Heinz, der Heiner und der Ben zusammen. Der Ben, in Größe Kinski und in Gestalt Rudolph ähnlich, kommt sogar zur Premiere in Berlin und klatscht.

Ben Becker spielt momentan auch ein Kinski-Programm, aber mit unveröffentlichten Gedichten und bestimmt ohne Rudolphs Zurückhaltung. So manisch wie Kinski sind ohnehin weder Rudolph noch Becker.

Würde Kinski noch leben, wer weiß, mit welchen Flüchen er seine Honorateure bedacht hätte. Denn Konkurrenz konnte Kinski gar nicht leiden.

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