: Nicht nur Wissen, auch Können
Die Zahl der Studienanfänger steigt wieder. Die Studenten sind zielorientierter und „im positiven Sinne kritischer“, meint der Bonner Anglist Uwe Baumann. Ein Gespräch
von JUDITH LUIG
Uwe Baumann ist Professor für Anglistik an der Universität Bonn. Seine Schwerpunkte sind Englischer Humanismus, Shakespeare sowie der Roman des 19. und des 20. Jahrhunderts.
taz: Über 43.000 Studierende haben gerade ihr Studium an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen begonnen. Das sind 6,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch im gesamten Bundesgebiet steigt die Zahl der Studienanfänger seit dem vergangenen Jahr wieder an. Gibt es eine neue Lust am Studieren?
Uwe Baumann: Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich geändert. Für mein Fach gilt: Anglistinnen und Anglisten sind gefragt. Kulturelle Kompetenz über das englischsprachige Ausland ist für viele Berufszweige zukünftig einfach erforderlich. Seit drei, vier Jahren verstärkt sich die Sicherheit, dass man mit seinem Studium auch beruflich etwas machen kann. Ende der Achtziger- bis Anfang der Neunzigerjahre sind die Erstsemester eher mit dem Bewusstsein angetreten: Ich studiere, weil mir das Spaß macht – ob ich später damit etwas werde, weiß ich nicht.
Sind die Studenten heute zielorientierter?
Sie sind im positiven Sinne kritischer. Überall da, wo Studierende die Wahl haben, werden bestimmte entlegene Dinge, die mit dem Etikett des nicht transferierbaren, dummen Faktenwissens versehen sind, weniger gefragt. Der unverkennbare Trend geht zu Kursen, die kulturelle Kompetenzen im Hinblick auf die Gegenwart vermitteln. Das heißt nicht, dass hier der Tiefgang fehlt. Auch die populären Themen sind historisch fundiert.
Wird sich mit den Studenten auch die Universität ändern?
Viele Fächer werden in den nächsten Jahren nicht mehr in voller Breite angeboten werden können. Wir haben in unserem bisherigen Hochschulsystem immer auf ein Höchstmaß an Freiheit gesetzt, sowohl in Bezug auf die Gegenstände als auch auf die Reihenfolge des Studiums. Das hat zwar besser funktioniert, als in der Presse dargestellt, aber das kann nicht so weitergehen. In den letzten zwanzig Jahren sind die Studienbedingungen allgemein schlechter geworden. Die Zahl der Lehrenden ist gesunken, die Zahl der Studierenden um etwa siebzig Prozent seit 1980 gestiegen. Zudem sind die sachlichen Ressourcen nicht nur nicht angepasst, sondern noch zurückgefahren worden.
Die Bildungskrise als Finanzkrise?
Ich will nicht alles aufs Geld schieben. Unsere Lage entstand auch aus einer permanenten Demotivation der Lehrenden an den Hochschulen. Seit Jahren bekommen wir gesagt, dass wir alles falsch machen, was wir nur falsch machen können. Sicher, es gibt auch schwarze Schafe unter den Professorinnen und Professoren. Aber ich glaube, dass der Anteil derjenigen, die sich richtig für die Universität, für ihr Fach, für ihre Studierenden einsetzen, sehr viel höher ist.
Universität ist schön, wenn nur die Studenten nicht wären – ist es das?
Es gibt Kollegen, die so denken, aber die werden immer weniger.
Trotzdem könnten die Professoren darauf achten, dass ihre Veranstaltungen für die Studierenden sinnvoller und ansprechender gestaltet sind.
Da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Die Verantwortlichen in den Fächern könnten auch in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung des Lehrangebots mehr Engagement zeigen – und nicht nur dafür Sorge tragen, dass die vorgeschriebene Anzahl an Stunden angeboten wird.
Hundert neue Bachelor- und Magisterstudiengänge hat das Land im vorigen Jahr genehmigt. Wie müsste die Studienordnung für einen Bachelor bei Ihnen aussehen?
Für diesen Studiengang müssen die Grundkenntnisse vereinheitlicht werden. Man muss präzise beschreiben können, welche Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse ein erfolgreicher Absolvent nach sechs Semestern erworben hat.
Sollte man also mittelenglische Lektürekurse abschaffen?
Es geht darum, erworbene Kenntnisse in die Praxis umzusetzen, in Print- oder sonstigen Medien, als Bildungsmittler. Da ist es besser, etwas über Intermedialität zu wissen, als im Detail die Tragödienkonzeption von Geoffrey Chaucer, wie sie sich in der „Monk’s Tale“ darstellt, zu kennen. Andererseits können auch mittelenglische Lektürekurse ein hohes Maß an transferierbarem methodischem und theoretischem Wissen bereitstellen. Zum Beispiel wichtige Stationen kultureller Erinnerungen.
Ist der Bachelor dann nicht ein besseres Wort für „Magister light“ oder für ein erweitertes Grundstudium?
Nein, der Bachelor muss etwas grundsätzlich anderes sein als ein verkürztes Magister- oder ein ausgedünntes Lehramtsstudium. Zu einem erheblichen Maße brauchen wir neue Kurse. Fachliches Grundwissen und Schlüsselqualifikationen müssen komprimiert und exemplarisch vermittelt werden.
Richtet sich der Fachbereich nach der veränderten Lage am Arbeitsmarkt?
Als Fach haben wir es natürlich leichter, wenn klar ist, dass wir nicht nur über altenglische Rätsel des „Exeter Book“ oder das australische Hörspiel zwischen den Weltkriegen forschen, sondern kulturelle Kompetenzen über die gesamte anglophone Welt vermitteln. Das ist genau die Nachricht, die an die Personalabteilungen der Firmen und Organisationen geht: Wer bei uns den Bachelor erwirbt, hat nicht nur Wissen, sondern kann auch tatsächlich etwas.
Wie könnten solche Unterschiede konkret im Fachbereich aussehen?
Es muss erlaubt sein, zwischen einem Bachelor aus Bonn und einem Bachelor aus Düsseldorf, Bochum oder Köln zu differenzieren. So können die Studierenden gezielt wählen, was sie interessiert. Beginnend mit der Hochschule. Wir lügen uns doch in die Tasche, wenn wir sagen, es gäbe nur eine Art Bachelor-Abschluss. Natürlich gibt es die nicht – auch nicht in den USA.
Wie sähen die inhaltlichen Verschiebungen in den Stundenplänen aus?
Darüber beraten wir gerade sehr intensiv. Also, ich könnte mir vorstellen, dass das eher traditionelle Englische Seminar in Bonn einen mehr kultur- und geistesgeschichtlich orientierten Bachelor anbietet; zusammen mit meiner neuen Kollegin Sabine Sielke in der Amerikanistik könnte man als einen der möglichen Magisterabschlüsse eine Gender-Studies-Spezialisierung aufbauen, aber auch ein Magister in British and Irish Studies ist durchaus vorstellbar.
JUDITH LUIG, 26, ist freie Journalistin und Magister der Anglistik. Sie hat in Münster, Florenz, Perugia und Bonn studiert.
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