Mit Furien in die neue Spielzeit

■ Das erste Konzert der Wintersaison bei der deutschen Kammerphilharmonie mit dem Cellisten Peter Wispelwey

Es war, als wollte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen in ihrem ersten Konzert der neuen Saison die längst treuen ZuhörerInnen erneut ein für alle Mal gewinnen: Mit solcher explosiven Kraft spielten sie die gewaltige Ouvertüre von Christoph Willibald Glucks „Orpheus und Eurydike“ und besonders den Tanz der Furien, mit dem im Mythos Orpheus am Eintritt ins Totenreich gehindert werden soll. Der richtige Partner für solch wahrlich furioses Musizieren war der englische Dirigent Paul McCreesh, der zudem die idyllischsten Gegenwelten aus Glucks Werk zauberte. Dass die MusikerInnen sich bei gelungenen Stellen selig zulächeln, kennen wir von diesem Orchester. An diesem Abend war es besonders häufig.

War man so schon bestens eingestimmt, konnte der niederländische Cellist Peter Wispelwey mit dem Cellokonzert von Camille Saint-Saens und den Mozart nachempfundenen Rokokovariationen von Peter Tschaikowsky zum wiederholten Mal in Bremen seine technisch brillante Ausnahmekunst präsentieren. Es gehört schon außerordentlich viel dazu, die kompositorische Geschwätzigkeit beider Stücke so zu (über)spielen, dass man atemlos gebannt zuhört. Wispelwey hat eine Fähigkeit, Gesten zu treffen und sie in den Dialog mit dem Orchester zu bringen, die ihresgleichen suchen dürfte. Aus einem einfachen, solo gespielten Quintaufstieg macht er ein Bild beklemmender Einsamkeit; den Tönen, die er spielt, horcht er nach, was die folgenden natürlich beeinflusst.

Manchmal staunt er über sie, als seien sie nicht seinem Cello entsprungen, sondern soeben vom Himmel gefallen. Die Blickkontakte mit den Orchestermitgliedern – nicht mit dem Dirigenten (!) – sprechen für sich: Mir fallen auf Anhieb nicht viele InterpretInnen ein, die derart entschlossen und uneitel ihre Kunst in einen Dialog zu bringen verstehen. Zudem klingen noch so floskelhafte Stellen wie eben erfunden, was Wispelweys Kadenzen den Charakter einer Improvisation verleiht. Nebenbei: in seiner kleinen Biographie im Programmheft steht, er widme sich der „authentischen Interpretation der jüngsten Violoncelloliteratur unserer Zeit“. Hoffentlich ist er für solchen Blödsinn nicht verantwortlich, es gibt keine „authentische Interpretation“. Er sollte nachlesen und korrigieren, was über ihn in die Welt hinausgeht.

Unfreiwillig oder auch mit Absicht machte die Wiedergabe der hochdramatischen „Prager Sinfonie“ von Wolfgang Amadeus Mozart deutlich, welches Missverständnis die Ovation Tschaikowskys an Mozart ist, wenn der russische Komponist den Wiener im Rokoko ansiedelt. Die Don Giovanni-Welt der Prager Sinfonie meißelte McCreesh, der kein Dirigentenpult braucht und häufig Kontakt mit einzelnen Mittelstimmengruppen aufnimmt, überzeugend heraus, mit einer ganz kleinen Gefahr zum Groben. Macht nichts, das war ein furioses, fulminantes Konzert in der ausverkauften Glocke.

Ute Schalz-Laurenze