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Obsessionen

Zählen, bis man von der Zeit eingesogen wird: Serien-Ausstellung in der Kunsthalle  ■ Von Petra Schellen

Eigentlich ist sie ein gutes Lehrstück für Geheimdienste. Oder für jene, die noch an die enzyklopädische Wirksamkeit der Rasterfahndung glauben: die derzeit in der Kunsthalle präsentierte Ausstellung Monets Vermächtnis: Serie – Ordnung und Obsession, zu der Sol Le Witts Würfel-Experiment namens Cube zählt. Denn diese Fotoserie spielt mit genau jenem Anspruch auf lückenlose Bestandsaufnahme, dem sich Fahnder der westlichen Welt in den letzten Wochen so stark verschrieben haben. Aus 511 Perspektiven hat Le Witt seinen Würfel fotografiert – aber es ist nicht so, dass einen deren Betrachtung mit Zufriedenheit erfüllte: Gerade das Postulat der nicht ausgelassenen Möglichkeit ist es, das misstrauisch macht.

Dabei ist Sol Le Witt nicht der Einzige, der mit der Unschärfe zwischen Mathematik und Philosophie spielt und so die Defizite seriellen Aufzählens offenbart: Soziogramme der zeitgenössischen Gesellschaft wollte etwa Bernhard Prinz in seiner Fotoserie Reine Wäsche erstellen, für die er 16 Frauen im gleichen Outfit ablichtete. Anstelle von Vollständigkeit ist allerdings Beunruhigung entstanden – und der Verdacht, das Wesentliche bliebe verborgen.

Dabei fängt die Schau ganz harmlos an: mit Claude Monets Getreideschobern, anhand derer er die Wirkung des Lichts verschiedener Tageszeiten erprobte. Dass die Schober dabei zu Persönlichkeiten mutieren, mag an der individuellen Phantasiebegabung des Betrachters liegen. Tatsache ist aber, dass sie mal satt und zufrieden, mal ausgemergelt, mal wie ein Weih-nachtsgeschenk aussehen. Die Monochromie des Gegenstands hat Monet hier sozusagen erprobt, ein bisschen Dekonstruktivismus gespielt, wenn allein das Licht ständig neue Realitäten erschafft.

Facetten verschiedenster Intensität hat auch Alexej von Jawlensky in seinen meditativen Heilandsgesichtern geschaffen, die – ein genialer museumspädagogischer Kunstgriff – als Fries an der Wand aufgereiht sind. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass währenddessen von nebenan die auf Polnisch gesprochenen Zahlenreihen Roman Opalkas zu hören sind; fast klingt es, als schreite Chronos selbst die Zeit ab – oder als zählte irgendwer Christi Peitschenhiebe.

Dem „freien Zählen“ widmet sich schon seit 1965 Roman Opalka, der mit weißen Ziffern auf schwarzem Grund begann, den Hintergrund immer heller werden ließ und inzwischen bei fast weiß auf weiß notierten Zahlen angekommen ist. Dem Vernehmen nach plant er, dereinst mit den Zahlen zu verschwinden und sich von der vergehenden Zeit einsaugen zu lassen.

Doch man braucht nicht allzu mystisch zu sehen, was derzeit in der Kunsthalle passiert: Genauso erhellend ist, sich auf die Tatsache zu konzentrieren, dass die Ausstellung schon durch den Titel Serie genau das erzeugt, was mit „Obsession“ gemeint ist: Sie zwingt den Betrachter in die Serien-Suche hinein – ein Appell, dem man brav nachkommt, etwa bei den Fotografien des Japaners Nayoa Hatakeyama, der Tokio aus verschiedenen Perspektiven aufnahm. Und wie manisch beginnt man sofort, strukturelle oder motivische Parallelen zu suchen, die die Bezeichnung Serie rechtfertigen. Codiertes Denken offenbart sich hier, und nur mit Mühe ertappt man sich beim absurden Versuch, bei Jawlensky Parallelen und Unterschiede gleichzeitig zu finden.

Oder sollte das Einzelne wirklich keine Rolle spielen? Sollte sich Zeit als Abfolge beliebig aneinander gestückelter Ereignisse entwi-ckeln? Sollte das Leben aus ewig wiederkehrenden Verhaltensmus-tern bestehen? Fast könnte man es vermuten, wenn man die Video-Installationen von Candice Breits (Babel Series) betrachtet, die in Endlosschleifen Sekunden aus Popstar-Auftritten reproduziert, die einen lärmenden Rhythmus erzeugen. Eine zynische Aussage über vermeintlichen menschlichen Facettenreichtum.

Und wenn man so weit gewandert ist, gebiert Andy Warhols Mao-Tapete schon keine neuen Erkenntnisse mehr: Denn hier hat sich die Ausstellung – bedrückend konsequent – längst selbst zur Serie entwickelt: Etliche Fotos sind in den folgenden Räumen zu sehen, die dem Soziogramm-Anspruch genauso wenig genügen wie Sol Le Witts Versuch, den Würfel gültig auszumessen. Die grassierende Foto- und Filmhörigkeit wird hier – ob gewollt oder nicht – böse persifliert. Und das Ausharren im Medium Foto, das seinen Authentizitätsanspruch doch nicht einlöst und das sich – die Schau präsentiert etliche Fotokünstler – auch schon wieder selbst reproduziert.

Monets Vermächtnis: Serie – Ordnung und Obsession: Kunsthalle, bis 6. Januar 2002. Geöffnet Di bis So 10 – 18, Do bis 21 Uhr

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