Unsere besten Jahre

Die Teeniekomödien als Spiegel amerikanischer Erziehungstrends: Neuerdings brechen gerade satirische Mainstreamfilme wie „Natürlich blond“ die ewig gleichen Sozialisierungen auf

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Obwohl das Erwachsenwerden eines der wichtigsten Themen der abendländischen Kultur darstellt und auch im realen Leben einigen Aufwand erfordert, scheinen „Coming-of-age“-Filme nie lange nachzuwirken, wird dieselbe Geschichte in neuer Verpackung doch jedes Jahr wieder verfilmt. Die diversen Teeniekomödien stehen sogar im Ruf, grob gestrickte Konfektionsware zu sein, die selbst den geistigen Horizont ihrer Zielgruppe noch absichtsvoll unterbieten. Diesem Image konnte auch die vermehrte Adaption von Meisterwerken der Weltliteratur nicht abhelfen: Ob Bernhard Shaws „Pygmalion“ in „Eine wie keine“, Jane Austens „Emma“ in „Clueless“ oder Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ in „10 Dinge, die ich an dir hasse“ – übersetzt in die Rhetorik des Teeniefilms verkommen selbst die besten dramatischen Konflikte zu Pubertätsproblemen, und jeder weiß, was das bedeutet: Sie gehen vorüber und wirken hinterher läppisch.

Was das Genre abgesehen vom Spaß, den man an solchen Geschichten haben kann, interessant macht, ist das soziale Setting der Filme. Umgeben von so grundsätzlichen Größen wie Schule, Eltern und Clique stehen hier weniger die Charaktere der Chearleader, Homecoming-Queens oder Football-Champions, sondern ihre soziale Verhaltensweisen im Vordergrund. Und selbst in den grobschlächtigsten Versionen bekommt man noch einen Blick auf das geheimnisvolle Räderwerk der Pädagogik und die praktischen Umsetzungen von family values. „Verrückt/schön“ von John Stockwell wurde viel gelobt dafür, die Welle der „flachen“ Komödien zu unterbrechen. In gewisser Weise eine weitere Shakespeare-Adaption – „Romeo und Julia“ –, wobei der Stoff mehrfach gegen den Strich gebürstet wurde.

Kirstin Dunst, eine dieser Teeniequeens, deren Verfallsdatum kurz nach dem Zenith beginnt, spielt Nicole, ein „poor little rich girl“ mit böser Stiefmutter und einem Vater, der sie zu wenig beachtet, was sie anfällig für Drogenexperimente macht. Unstandesgemäß verliebt sie sich in den Latino-Amerikaner Carlos, der, obwohl arm, ein vorbildlicher Schüler ist und den sozialen Aufstieg verfolgt. Als Mesalliance gilt die Beziehung nicht wegen des Klassenunterschieds, sondern wegen der Differenz in der Lebensführung: Selbst ihr Vater warnt den Aufsteiger vor dem schlechten Einfluss, den seine Tochter auf ihn haben könnte.

Implizit wird in „Verrückt/schön“ auf diese Weise der alte Antagonismus zwischen konservativer und liberaler Erziehung abgehandelt. Dunsts zugedröhntes Gesicht in Kombination mit strähnigem Haar und einer Haltung, die das charakterliche Sich-Hängen-Lassen in direkte Körpersprache übersetzt, zeigt, wie man in Amerika mittlerweile den permissiven Erziehungsmethoden gegenübersteht: Die ganze Figur schreit förmlich nach Disziplinierung. Wenig verwunderlich, dass sie gegen Ende sogar der eigenen Internierung zustimmt, um ihr Drogenproblem in den Griff zu kriegen, eine Einwilligung in die Selbstaufgabe, mit der sich die Prinzipien der Freiwilligkeit ganz „liberal“ in ihr Gegenteil verkehren. Aber so weit wird es dann doch nicht kommen – schließlich wird eine Illusion im Teeniefilm stets bewahrt: der Glaube an die Liebe.

Gibt Dunst also das verwöhnte Mädchen, dem zu wenig Grenzen gesetzt wurden, wächst Carlos gerade an den Grenzen, die ihm sein Unterschichtleben bietet: eine einfache, aber insistierende Mutter, ein patriarchaler großer Bruder und eine traditionsbewusste Nachbarschaft. Wer sich an die Regeln hält, kommt weiter, so das Versprechen.

Zu zeigen, dass solche Versprechen Mythos sind – und Erwachsenwerden bedeutet, das auf mehr oder weniger schmerzliche Weise zu erfahren –, das trauen sich nur Produktionen mit Independent-Charakter wie zum Beispiel Terry Zwigloffs „Ghost World“. Auch Enid (Thora Birch) werden im Grunde keine Grenzen gesetzt, auch sie fühlt sich vom Vater vernachlässigt, aber anstatt wie in „Verrückt/schön“ mit Disziplinierungsinstanzen zu winken, wird hier der Hauptperson gestattet, Erfahrungen zu sammeln, in der Mehrzahl unangenehme, aber sehr eigene. Mehr noch als Nicole in „Verrückt/schön“ ist Enid im Grunde „verrückt“; sie hat so sehr einen eigenen Willen, dass er ihr selbst schon im Wege steht. In der Kleinstadtumgebung gibt es allenfalls Abziehbilder von „erfolgreichen Persönlichkeiten“, keine wirklichen. Ganz offensichtlich ist Enid begabt und intelligent, aber das sind keine Eigenschaften, die in diesem Film belohnt werden. Die Eltern-Lehrer-Nachbarn-Riege, die eine schwierige junge Frau wie sie dem gesellschaftlichen Selbstbild nach unterstützen müsste, erweist sich als dysfunktional. Verhandelt „Ghost World“ zwar vielschichtig, aber doch in bewährten Bahnen den altbekannten Topos des unangepassten Talents, ist es interessanterweise gerade den eher verpönten Teeniekomödien vorbehalten, schematische Sozialisierungsprozesse ironisch aufzubrechen.

In Robert Luketic’ „Natürlich blond“, der Mitte November ins Kino kommt, hat die Hauptperson Belle (!) nämlich in gewisser Weise das Problem – das krasse Gegenteil der bebrillten und dunkelhaarigen Außenseiterin Enid –, zu sehr angepasst zu sein, zu sehr dem Idealbild der blonden Kalifornierin zu entsprechen, um ihre besonderen Fähigkeiten entwickeln zu können. Hilfen werden der jungen Frau fortwährend angeboten, aber selten solche, die sie auf dem Weg weiterbringen, den sie verfolgen will. Belle erfreut sich so viel Akzeptanz für Aussehen und reizendes Wesen, dass ihre Umgebung mit Unverständnis darauf reagiert, dass sie sich dazu herablassen will, Jura zu studieren – etwas, was allenfalls Dunkelhaarige nötig haben, um erfolgreich zu werden. Das Rekrutierungscamp der amerikanischen Elite Harvard wird hier als düsterer Hort der anderweitig zu kurz Gekommenen inszeniert. Das komödiantische Scheinproblem – nicht „ernst“ genug zu sein – bauscht der Film hemmungslos auf, um es am Ende so furios zu lösen, dass der Zuschauer sich zur Einsicht bekehrt fühlt, gegen Blondinen mit Puschelbleistiften und herzförmigen Notizblocks keine Vorurteile mehr haben zu wollen.

Dieselbe satirische Verkehrung – Konformität als Problem – bildet auch in den „Frechen Biestern“, einer weiteren „Blondinen-Komödie“, den Ausgangspunkt: Die Überangepasstheit der Hauptperson muss diesmal in Form einer Konkurrentin erst dekonstruiert werden, damit die Blondine zu ihrem wahren Wesen findet, das um einiges intelligenter, wenn auch viel weniger nett ist, als was sie bislang zu sein vorgab. „Freche Biester“ ist eine Trash-Komödie mit demonstrativer Lust an Biestigkeiten und schlechten Gewohnheiten. Die Linien der Pädagogik werden hier einfach aufgelöst: Bei den gezeigten Texanern ist nicht zu unterscheiden, ob sie schon „White Trash“ oder noch „erfolgreich“ sind. Auch die Sache mit dem Drogenkonsum wird hier nicht so eng gesehen: Die Damen rauchen bevorzugt in der Küche direkt am Waschbecken – zur schnellen Beseitigung der Spuren. Im Kühlschrank hält die Mutter riesige Vorräte an Eistee, den sie mit Hochprozentigem versetzt. Ohne moralischen Zeigefinger legt die Komödie bloß, dass Erziehungsprinzipien wie Moden funktionieren: Man passt sich ihnen äußerlich an, um hinter dem schönen Schein die Freiheit zu haben, eigenen Interessen nachzugehen.