: Wo höchstes Risiko besteht
betr.: „Das Restrisiko wird deutlich größer“, taz vom 13./ 14. 10. 01
Von Beginn der „friedlichen Nutzung“ der Atomenergie an haben die Betreiber nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die politischen Entscheidungsträger über das damit verbundene Risiko bewusst getäuscht. Sie haben dazu nicht nur falsche Informationen herausgegeben, sondern auch eine verlogene Sprache entwickelt, welche die Vermittlung verlässlicher Informationen möglichst vermeiden und stattdessen Sicherheit suggerieren soll, wo in Wahrheit höchstes Risiko besteht.
Eines von vielen Beispielen: Wer das Wort „Restrisiko“ hört und seine wahre Bedeutung nicht kennt, der denkt – und so ist es wohl auch beabsichtigt – an einen kleinen „Rest“ von Risiko, den man getrost vernachlässigen kann und über den man sich nicht viele Gedanken zu machen braucht. In Wahrheit bezeichnet dieser Begriff die Folgen eines Schadensereignisses, das technisch nicht beherrschbar ist und für das auch keine Vorsorge getroffen werden kann.
Zu den technisch nicht beherrschbaren und in den Katastrophenplänen nicht berücksichtigten Schadensfällen gehören unter anderem Waffeneinwirkungen, ein (beabsichtigter oder unbeabsichtigter) Flugzeugabsturz und das spontane Bersten des Reaktordruckbehälters. Gegen Flugzeugabstürze sind die älteren deutschen Atomkraftwerke gar nicht, die neueren nur begrenzt gesichert. Die Folgen eines solchen Ereignisses wären weitaus schlimmer als die des Unfalls von Tschernobyl, und zwar allein schon deshalb, weil das radioaktive Inventar in einem kommerziellen Reaktor sehr viel größer ist als in dem vorwiegend zur Plutoniumgewinnung ausgelegten Reaktor von Tschernobyl. Ein einziges solches Ereignis würde vermutlich genügen, um ganz Mitteleuropa auf unabsehbare Zeit unbewohnbar zu machen.
Spricht man mit so genannten Experten darüber, dann nimmt das Gespräch unweigerlich einen typischen Verlauf: Einer Beschreibung des Risikos wird tunlichst ausgewichen und stattdessen wird auf die – angeblich – „äußerst geringe Eintrittswahrscheinlichkeit“ verwiesen. Die naive Frage des Abgeordneten Michael Müller, ob denn wohl sicher sei, dass „im Falle einer Warnung ein Meiler auch abgeschaltet würde“, offenbart ein für einen politischen Entscheidungsträger bedenkliches, ja erschreckendes Maß an Unkenntnis der einfachen Tatsachen und Zusammenhänge: Es liegt in der Natur der Radioaktivität, dass sie sich auf keine Weise „abschalten“ lässt, und darum ist es völlig gleichgültig, ob ein Meiler bei einem Terrorangriff in Betrieb ist oder ob er kurz zuvor abgeschaltet wurde.
Professor Karl Bechert, Atomphysiker und seinerzeit Vorsitzender des zuständigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, hat beklagt, der Bundestag habe das deutsche Atomgesetz ohne Kenntnis der Sachverhalte beschlossen und die Abgeordneten seien über die Risiken planmäßig getäuscht worden. An diesem Zustand hat sich seither offenbar nichts geändert.
ULRICH UFFRECHT, Buxtehude
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