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Hilfe, mein Nachbar ist Muslim

■ In Obervieland sprachen SchülerInnen, LehrerInnen und Wissenschaftler über die Probleme im Zusammentreffen der Alltags-Kulturen

„Muslimische Jugendliche in Schulen und Wohnquartieren“ – zu dieser brennenden Frage trafen sich gestern im Gemeinschaftszentrum Obervieland Wissenschaftler, LehrerInnen – und muslimische Jugendliche. Zu einem Dialog in einer Offenheit, die selten ist.

So berichtete eine muslimische Schülerin vom Gymnasium Obervieland, welche Probleme sie hat, seitdem sie ein Kopftuch trägt. Als sie einmal den Lehrer nicht verstanden hatte, sagte der zu ihr: „Nimm das Kopftuch ab, dann hörst du besser.“ In der Straßenbahn werde sie, erzählte eine andere Schülerin mit Kopftuch, bisweilen auf englisch angesprochen. Die beiden meinten ihr Kopftuch nicht als Ausgrenzung – erfahren aber Ausgrenzung als Reaktion. Und reagieren sehr empfindlich: „Wenn jemand mein Kopftuch nicht akzeptiert, akzeptiert er mich nicht!“, erklärte eine der Schülerinnen. „Mein Kopftuch bedeutet mir sehr viel, es drückt aus, wozu ich stehe.“

Eine türkische Schülerin, die kein Kopftuch trägt, berichtete über die Zwänge der muslimischen Gemeinschaft. Wo sie auch, zum Beispiel abends, auftauche, irgendjemand kenne sie. Die Eltern hätten eigentlich nichts dagegen, dass sie in eine Disko geht, aber sie wollten vermeiden, dass „schlecht geredet wird“ über die Tochter. Deswegen darf sie vieles nicht, was die anderen in ihrem Alter dürfen.

Eine der Schülerinnen berichtete über einen Fall, der die kleinen Diskriminierungen im Alltag verdeutlicht: „Meine Geschwister haben im Garten Fussball gespielt, der Ball flog über den Zaun. Da meinte unser Nachbar: Hier in Deutschland gibt es auch Spielplätze.“ Ein blöder Kommentar, der trifft.

Die Kooperationsstelle Arbeiterkammer/Universität hatte die Tagung organisiert, der Wissenschaftler Frank Mong wertet gerade umfangreiche Befragungen von organisierten muslimischen Jugendlichen aus. Der Identitäts-Zwiespalt, in dem muslimische Jugendliche sind, ist nach seinen Erkenntnissen oft sogar die Wurzel fundamentalistischer Radikalisierung: Die Eltern gewähren – auch aus Unsicherheit – ihren Kindern wenig Spielräume. Die Kinder kommen mit den zwiespältigen Anforderungen – hier das, was unter den Deutschen „normal“ ist, dort die Eltern-Erwartungen – nicht zurecht; für manche ist die Rückbesinnung auf islamische Überzeugungen, die sehr viel intensiver sind als die der Eltern, der Ausweg und bringt Stabilität.

Die „Probleme“, die die SchülerInnen aus dem Gymnasium Obervieland gestern formulierten, waren insgesamt aber eher harmlos. In Obervieland klappt das Zusammenleben sehr weitgehend, konnte man den Eindruck gewinnen, die Schülerinnen konnten selbst sehr ausführlich ihre „positiven“ Erfahrungen in der deutschen Umgebung formulieren: „Die Lebensbedingungen hier sind viel besser, in Deutschland ist man freier.“

Wenn da nicht nachmittags die Runde der LehrerInnen gewesen wäre. Muslimische SchülerInnen, die es ins Gymnasium geschafft haben, sind absolut ehrgeizig, aufstiegswillig, haben eine große Bereitschaft zur Anpassung, wollen das deutsche Abitur machen. Die Hauptschulklassen, in denen die deutschen Kinder manchmal sogar in der Minderheit sind, das sind die echten Problem-Klassen, erklärte eine Lehrerin. Türkische Jungs, die zu Hause lernen, dass man nur Männer wirklich ernst nehmen muss, nehmen auch Lehrerinnen in der Schule nicht ernst. Am Schwierigsten seien die ausländischen Kinder, deren Elternhaus für die Schule „überhaupt nicht greifbar“ ist. Oder die Libanesen-Kinder, die nur „Hauen und Stechen“ kennen.

Typische Geschichte: Das Schulzentrum Obervieland hat eine kleine „Dependance“ für drei Klassen der Orientierungsstufe in der Theodor-Billroth-Straße bekommen. Deutsche Eltern haben bevorzugt ihre Kinder dort angemeldet, weil sie sich von der überschaubaren Situation einen „Schonraum“ für ihre Kinder erhofften, erzählt eine Lehrerin. Muslimische Kinder hätten sich nicht dorthin gemeldet, die wollten lieber in die „Clique“ ihrer älteren Geschwister auf dem Schulhof, „ihre kriminellen Ecken und Bandenkriege“. Die gab es in Obervieland heftig – zwischen Türken und Russen. Vor solchen „Cliquen“ haben deutsche Schüler Respekt und im Zweifelsfall auch erhebliche Angst .

Vor allem die muslimischen „Jungs“ machen in den Hauptschulklassen Probleme, da waren sich alle Lehrer einig. Mädchen sind anpassungsfähig – und auch erfolgreicher in ihren schulischen Leistungen. Aber eine Klassengemeinschaft kommt so oder so nur schwer zustande. „Ich kann keine Klassengemeinschaft mehr bilden, wenn wir nicht gemeinsam die Weihnachtsfeier vorbereitn können, wenn die Mädchen nicht mit Schwimmen gehen und bei Wandertagen abgemeldet werden“, erklärte einer der Lehrer resigniert.

K.W.

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