: Lorbeeren für Datenschutzverletzer
Zum zweiten Mal wurden die deutschen „Big Brother Awards“ verliehen. Zweifelhaft geehrt werden Firmen und Menschen, die Technik und Informationen missbrauchen und die Privatsphäre missachten. Hauptgewinner ist deshalb Otto Schily
aus Bielefeld ARTHUR B. KANT
Es gibt Preise, die will eigentlich keiner haben. So ist auch der Big Brother Award (BBA), den der Verein FoeBuD zum zweiten Mal verliehen hat, eher eine Schmähung als eine Auszeichnung. Denn die größten Chancen auf die Trophäe haben diejenigen, die sich in der letzten Zeit durch Verletzungen des Datenschutzes hervorgetan haben. Der Hauptpreisträger heißt also – wen wundert’s – Otto Schily.
Als effektivsten „Trittbrettfahrer des internationalen Terrorismus“ wollte Laudator Rolf Gössner den Geehrten zwar nicht bezeichnen. Aber der 11. September hat dem Sieger des Rennens um den Big Brother Award 2001 die nötige Beschleunigung gegeben. Der Innenminister nutze „den Deckmantel der Terrorismusbekämpfung für den Abbau von Bürgerrechten und Datenschutz und die Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung in Deutschland und Europa unter besonderer Missachtung ausländischer Bürgerinnen und Bürger“.
Per Knopfdruck
Gössner ist Rechtsanwalt und Jury-Mitglied der „Big Brother Awards“, die seit 1998 in verschiedenen Ländern verliehen werden – seit dem letzten Jahr auch in Deutschland. Bielefeld ist der Austragungsort, weil es hier den FoeBuD e. V. gibt. Der Name verschlüsselt das, was sich der Verein auf die Fahnen geschrieben hat: die Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs. Und damit natürlich auch dessen Schutz.
Die Big-Brother-Belohnung für Schilys „Eintreten gegen Bürgerrechte, Datenschutz und Informationelle Selbstbestimmung“ war absehbar. Bei den nicht minder wichtigen weiteren Preisträgern hingegen wurde es spannend. Als zweites Regierungsmitglied konnte Bundeswirtschaftsminister Werner Müller den Preis in der Kategorie Kommunikation absahnen. Und zwar für seinen Einsatz für die „Telekommunikationsüberwachungsverordnung“ (TKsV). Das Wortungetüm steht für die Schaffung einer „technischen Infrastruktur, die durch fest installierte Geräte bei den Anbietern von Telekommunikation die Überwachung per Knopfdruck ermöglicht“. Laudator Patrick Goltzsch erklärte, dass die TKsV die Betreiber – auf eigene Kosten – verpflichte, Vorkehrungen zur Überwachung der Kommunikation der Teilnehmer zu treffen. Dadurch werde die Handyortung und die Erstellung von Bewegungsprofilen erlaubt. Weiter müsse die Verschlüsselung bei den Netzbetreibern entweder eine unverschlüsselte Schnittstelle oder einen Nachschlüssel haben. Die Betreiber haben über ihre Vorrichtungen Schweigen zu bewahren, Missbrauch ist also vorprogrammiert.
Schnüffel-Software
Wer auf die Lobreden für die staatlichen Preisträger noch nicht mit chronischer Paranoia reagierte, war spätestens bei den Nennungen der weiteren Gewinner gefährdet. Die Firma ProtectCom ist der Werner Müller der Arbeitswelt. Mit ihrer Schnüffelsoftware „Spector“ hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, in Echtzeit auf die Rechner der Angestellten zuzugreifen, Screenshots zu erstellen und jeden Tastendruck der Untergebenen zu protokollieren. Ingo Ruhmann, Gutachter für den Bundestag und das EU-Parlament, hält die Anwendung dieser Software für eindeutig rechtswidrig und damit die Werbung des Herstellers für eine Aufforderung zu Straftaten. „ProtectCom“ sei ein Fall für den Staatsanwalt. Zuvor erhält sie jedoch den BBA-Arbeitswelt.
In der Kategorie Business und Finanzen wurde die Informa Unternehmensberatung ausgezeichnet. Sie sammelt und nutzt bundesweit alle erreichbaren Daten, deren Zahl auf die mehrfache Milliardenhöhe zusteuert. Werden sie kombiniert, kann „für jeden Bürger ein Score ermittelt werden“, zitiert Laudatorin Rena Tangens vom FoeBuD den Informa-Geschäftsführer Paul Triggs. Ohne Information der Verbraucher werden deren Daten zusammengeführt und zum Beispiel von Web-Shops verwendet, um Kundenprofile zu erstellen.
Den Technikpreis konnte die Firma „RealNetworks“, durch den Real-Player auf fast jedem PC vertreten, einheimsen. Durch die Einrichtung der Standardeinstellungen wird ein Profil erstellt, das den Nutzer eindeutig identifiziert und viel über dessen Hör- und Sehgewohnheiten verrät. „Datenschutz ist wohl erst ab der kostenpflichtigen Vollversion erhältlich,“ beschließt Jens Ohlig, Vorsitzender des Chaos Computer Clubs, seine Laudatio.
Der Regionalpreis geht an das Bielefelder Hans-Ehrenberg-Gymnasium. Dort kann die Schülerschaft ihre Kantinenschulden mittels einer „School-Card“ abzahlen, der Fingerprint dient als Legitimation. Das gemeinsam von Schülern und Lehrern entwickelte Projekt soll nach Auffassung der Jury Jugendliche „an den Einsatz der Biometrie gewöhnen“ und „macht den überwachten Konsum zum Lernziel“. Früh übt sich, wer ein prämierter Datenschutzverletzer werden will.
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