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Begegnungen und andere Öffnungen

Gefüllter Konzertkalender: Heute beginnt das Festival „Open Jazz“ in Hamburg  ■ Von Tobias Richtsteig

Noch vor wenigen Jahren war der November in Hamburg der Monat des Jazzfestivals in der Fabrik. Dort wurde der aktuelle Stand des Genres mit hochkarätigen internationalen KünstlerInnen präsentiert. Die Wochenenden in Altona boten die seltene Gelegenheit, Musiker live zu erleben, deren Tourneen an Hamburg meist großzügig vorbeiführen.

Inzwischen hat sich die Situation deutlich gewandelt. Während die Fabrik in kreativer Pause den Relaunch ihres Jazzfestivals im kommenden Jahr vorbereitet, füllt ein Musikprogramm mit elf Konzerten an sechs Spielorten den Kulturkalender bis Anfang Dezember. Open Jazz heißt dieses „internationale Festival des neuen Jazz“, das vom Jazzbüro Hamburg ausgerichtet wird. Und tatsächlich hält das gut vierwöchige Programm in vieler Hinsicht Öffnungen für den Jazz bereit. Die Konzerte reichen stilis-tisch vom Sonntagsfrühstück mit Mainstream-Matinee über Zeitgenössisch-Tanzbares in Mojo und Hafenklang bis zu improvisierenden Begegnungen. Open Jazz stellt diese Abende unter einen Namen und unterstreicht die Gemeinsamkeiten, ohne dabei die Unterschiede zu vergessen.

Auch räumlich öffnet sich das Festival: Die Konzerte finden jeweils an passenden Orten in – zumeist – St. Pauli und Altona statt. So gehört die tanzbare „JazzJuice Night“ im Mojo ebenso dazu wie der Solo-Piano-Abend im Atrium oder die „Klang Räume“ mit Wittwulf y Malik (Cello Solo) und dem Ensemble Sondarc (6 Kontrabassisten) in der Altonaer St. Johanniskirche, fortgesetzt im nahe gelegenen Fundbu-reau unter der Sternbrücke. Dass solche Konzerte in diesen Räumen stattfinden, ist zwar in Hamburg nichts Neues, im Festivalprogramm von Open Jazz wird aber das Prinzip sichtbar: Die Musik spielt vor Ort anstatt im Elfenbeinturm.

Für die dritte Dimension der Öffnung steht das Stichwort „Begegnungen“. Jazz und improvisierte Musik leben vom Zusammenspiel unterschiedlicher Menschen. Open Jazz hat deshalb MusikerInnen aus China, Korea, Japan und Norwegen eingeladen, mit den Hamburger KollegInnen gemeinsame Konzerte zu gestalten. Den Auftakt dazu liefert heute Abend das Geir Lysne Listening Ensemble aus Oslo. Die 20-köpfige BigBand folgt nicht den amerikanischen Besetzungsvorgaben und hat mit zwei Schlagzeugern, Tuba, Flöten und vielen weiteren Holzbläsern einen eigenen Sound entwickelt, der sich an norwegischen Traditionals und dem modalen Jazz von Gil Evans orientiert. Sie sind auf dem Weg zum Berliner Jazzfestival und treffen im Jazzclub 13a (Beim Schlump 13) auf das Duo Jonas Schoen/Mischa Schumann, die mit raffinierten und funky Post-Bop-Kompositionen durchaus für einen „Hamburgischen Sound“ stehen können.

Am Donnerstag folgt dann eine Gegenüberstellung ganz anderer Art. Im Atrium (Bernstorffstraße 93–97) setzen sich Ryoji Hojito und Johannes Bahlmann nachei-nander an den Flügel. Hojito kommt aus dem Norden Japans, wo er Mathematik studierte und als Pianist zu improvisieren begann. Auf der Suche nach ganz persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten entwickelte er einen unkonventionellen Stil und verbindet den offenen Klang des Klaviers mit elektronischer Klangbearbeitung und handfester Präparation des Instruments. Bahlmann findet in der entgegengesetzten Richtung zum Ziel. Der gebürtige Niedersachse studierte Jazz und klassisches Piano in den USA, ist als Pianist vom Komponisten und Dirigenten Esa-Pekka Salonen ebenso gefragt wie vom Tubisten Howard Johnson. Sein Solo-Spiel versteht er als Entwicklung kompositorischer Gedanken, von einfachen Melodien bis zu kraftvoll-komplexen Strukturen. Als Keyboarder von We Here – You Hear wird Bahlmann auch am kommenden Dienstag im Mojo Club beim „JazzJuice“-Abend zu hören sein, gemeinsam mit Field und dem Weltraum-Orgel-Trio Groove Galaxi feat. Robert Cicero.

Noch mehr „Sounds from far away“ gibt es dann am Donnerstag (8. November) in der St. Johanniskirche zu hören, wenn der Bassist Peter Kowald zum Konzert mit dem Posaunisten Heinz-Erich Gödecke und dem TonArt Ensemble kommt. Letzteres rekrutiert sich aus Mitgliedern des gleichnamigen Vereins und hat sich als regelmäßig probende Gruppe weltweit einen guten Namen erspielt. Gödecke vereint in seiner Musik die Energie des europäischen FreeJazz mit überzeugenden Strukturen. Seit 20 Jahren tourt er ausgiebig durch Europa und Russland. Hier ergeben sich auch Berührungspunkte zu Kowald, der seit 40 Jahren von Wuppertal aus weltweit unterwegs ist.

Soweit das erste Drittel des OpenJazz-Festivals. Über das weitere Programm bis Ende November werden wir noch einmal gesondert berichten.

Die ersten Konzerte „Northern Sounds“ (Geir Lysne Listening Ensemble, Schoen/Schumann-Duo): heute, 20 Uhr, Jazzclub 13a (Beim Schlump 13); „Piano–Piano“ (Hojito, Bahlmann): morgen, 20 Uhr, Atrium; „JazzJuice (Groove Galaxi, Field, We Here – You Hear): 6.11., 20 Uhr, Mojo; „Sounds from far away“ (Kowald/Gödecke/TonArt Ensemble): 8.11., 20 Uhr, St. Johanniskirche

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